Gerade noch rechtzeitig ging die Viennale zu Ende. Anne blickt zurück auf ein Festival als Lichtblick in Zeiten der Pandemie.
Zwischen 23. Oktober und 1. November fand die Viennale heuer 10 (!) Wiener Kinos statt. Und auch, wenn es sich merkwürdig angefühlt hat, mit Mund-Nasen-Schutz und weit entfernt von den anderen Kinogästen in die Welt der Leinwand-Fantasien einzutauchen, waren wir bereit!
Wir – beziehungsweise die virus-mutige Kino-Hopperin Anne – war vor Ort und hat ihre Highlights zusammengefasst.
Schildert uns eure Viennale!
In unserem kommenden Podcast wird Anne das Festival noch einmal Revue passieren lassen und ihr seid herzlich eingeladen, eure Gedanken per Sprachnotiz an uns zu schicken, damit wir sie in den Podcast einbauen können.
Sendet uns die Files (idealerweise ein WeTransfer-link) an contact@flipthetruck bis 3.11.
Kaze no denwa (Voices in the wind)
Regie: Nobuhiro Suwa
Drehbuch: Nobuhiro Suwa, Inukai Kyoko
2020, Japan
Erster Eindruck: Rührend, aber fad. Vielleicht nicht der netteste Gedanke, wenn man die Handlung (Mädchen verliert ganze Familie aufgrund von Tsunami) betrachtet. Der Film plätschert aber teilweise eben einfach nur dahin. Die Hauptdarstellerin, Motola Serena, arbeitet normalerweise als Model – packt aber viel Kraft und echte Trauer in die emotionalen Szenen. Die restliche Zeit blickt sie ausdruckslos hinter ihren langen Haaren hervor und bewegt sich im Schneckentempo. Die Begegnungen während ihrer Trauer-Reise lockern die Gleichförmigkeit zwar immer wieder auf, aber trotzdem: Kürzte man den Film um eine Stunde, hätte er garantiert einen kraftvolleren, emotionalen Punch.
Quo vadis, Aida?
Regie: Jasmila Žbani?
Drehbuch: Jasmila Žbani?
2020, Bosnien und Herzegowina, Österreich, Rumänien, Niederlande, Deutschland, Polen, Frankreich
Kurzfassung: BITTE UNBEDINGT DIESEN FILM SCHAUEN!
Er ist nicht nur zeitgeschichtlich gesehen ein kleines Juwel, sondern auch aus filmemacherischer Perspektive ziemlich perfekt. Regisseurin Jasmila Zbanic erklärte im Q&A, dass sie sich mit ihrem Film auf keine der beiden politischen Seiten stellen wollte.
“I tried to stay as factual as I could, so that the people could decide for themselves who is good or bad.”,
– Jasmila Zbanic (Regie: Quo Vadis, Aida?)
Und obwohl Täter & Opfer durch ihre jeweiligen Handlungen klar in Erscheinung treten, spürt man, dass der Film nicht direkt verurteilt, sondern einen Blick durch den Zeit-Tunnel gewährt. Einen Blick auf all das Leid in Srebrenica, all die Verzweiflung und die Hilflosigkeit. Gleichzeitig schafft es Zbanic aber, ihre Hauptfigur wie eine Gallionsfigur für weibliche Stärke zu inszenieren. Nochmal: MUST WATCH! Auch, wenn es wehtut …
Never rarely sometimes always
Regie: Eliza Hittman
Drehbuch: Eliza Hittman
2020, USA
Es ist ein stiller Trip – silent travel -, den Autumn und ihre Cousine antreten. Und das liegt nicht daran, dass sie nichts zu reden hätten. Doch das Thema Abtreibung ist zu groß, zu stark, zu gedankenfüllend, um es in Worte zu fassen. Doch was Autumn fühlt, fühlt auch das Publikum. Und das sind keine happy thoughts.
Regisseurin Eliza Hittman, die per Skype ein Publikumsgespräch gab, weiß genau, was sie mit ihren Filmen zeigen will:
“I waned to approach this topic with a subjective lens. For me it very important to give the audience a window into people’s quiet struggles. That’s why I focus on the interior world.”
– Eliza Hittman (Regie: Never rarely sometimes always)
Der Film hat aber auch dokumentarischen Ernst, wenn es um die Reise, die Abtreibungskliniken und das raue Pflaster in New York geht. Trotzdem formt sich vor allem ein Gedanke – schon nach den ersten paar Minuten im Film: Warum gehört der Körper einer Frau der ganzen Welt, aber nicht ihr selbst?
Shirley
Regie: Josephine Decker
Drehbuch: Sarah Gubbins
2019, USA
Wenn ich sagen müsste, dass Shirley keinen bitteren Geschmack in meinem Mund zurückgelassen hat, dann würde ich lügen. Irgendwie sind alle Figuren in diesem Film interessant und furchtbar zugleich. Doch irgendwo kann man sie auch verstehen – also nicht alle und immer, aber zumindest zwischendurch machen ihre merkwürdigen, fiesen, kleinen Seitenhiebe Sinn. “Lass uns hoffen, dass es ein Bub wird. Mädchen haben es schwer genug in dieser Welt.”, sagt Shirley (Elizabeth Moss) zu ihrer Begleiterin.
Und ja, Frauen haben es (auch) in dieser filmischen Welt nicht leicht – ich sage nur: MASSIVES Mansplaining. Doch diese Frauen sind auch keine Heiligen. Sie beißen, kratzen, stampfen und wenn es sein muss, dann kämpfen sie bis zum letzten Atemzug für ihre eigenen Wünsche – ohne Rücksicht auf Verluste, egal ob Männer oder Frauen zu den Opfern zählen. Und obwohl diese Gedanken zum Film nicht gerade aufmunternd klingen, mischt sich doch eine gewisse Süße zum bitteren Geschmack. Denn Shirley zergeht wie ein alter, kostbarer Tropfen auf der Zunge …
Effacer l’historique (delete history)
Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern
Drehbuch: Benoît Delépine, Gustave Kervern
2020, Frankreich, Belgien
Marie, Bertrand und Christine sind Loser. Im wahrsten Sinne des Wortes. Vom Leben wurden sie – pardon für diese Ausdrucksweise – durchgef*ckt. Alle auf ihre eigene, fiese Art und Weise. Und das müsste für ein Leben ja reichen, aber leider sind die drei auch die naivsten Menschen in ihren 40ern, die ich je auf einer Leinwand gesehen habe. Und das weiß der Film auch.
Nein! Er will das genau so. Denn Effacer l’historique liebt das Spiel mit den Extremen. Wenn ich diesen Film also mit einem Begriff umfassen würde, dann würde jener “Uncanny Valley” lauten. Diese Theorie besagt, dass wir uns vor nachgemachten Dingen gruseln, die dem Original sehr nah kommen, aber trotzdem anders sind. So wie etwa lebensechte Roboter oder Animationen in Filmen. Doch in diesem Streifen geht es nicht um unheimliche Animationen, sondern das Leben der ProtagonistInnen ist ein reines Uncanny Valley. Manche Dinge sind ganz normal, so, wie bei dir & mir im Alltag. Andere Dinge wiederum sind einfach zu absurd um wahr zu sein. Und ein bisschen zu try hard, wenn ich das mal so sagen darf …
Großes Dankeschön…
Gilt allen, die uns die Viennale ermöglicht haben. Von der künstlerischen Leitung über die gesamte Organisation, die Kinobetreibenden, alle helfenden Hände.
Dass unmittelbar nach diesem Festival wieder eine Kinolose Zeit hereinbricht, unterstreicht noch einmal, wie wichtig eure Arbeit für die Kinokultur ist. Bis zum nächsten Jahr und hoffentlich sieht man sich bald wieder im Kino!
Website der Viennale: www.viennale.at
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