Selbst wenn ich wollte, könnte ich Tenet nicht spoilern.
Als hätte es ein Christopher-Nolan-Film nicht schon schwer genug, muss der neueste Film des Briten in Zeiten von Corona und Wirtschaftskrise auch gleich das Kino retten. Tenet ist der erste große Blockbuster nach den monatelangen Lockdowns und Kinoschließungen. Immer wieder musste der Film verschoben werden, am 26. August ist es bei uns endlich so weit, in den USA am 3. September. Gewohnt rätselhaft war der Trailer: Sauerstoffmasken, ein Flugzeug und Einschusslöcher, die sich wie von Zauberhand wieder zusammensetzen – mehr als einzelne Bilder hat man nicht mitbekommen. Auch nach einem ersten Screening, bleibt es so. Tenet ist wohl Nolans undurchsichtigster Film. Aber dazu später mehr.
“Don’t try to understand it, just feel it”
John David Washington spielt den namenlosen CIA-Agenten, der nur mit dem Wort “Tenet” die Welt retten soll. Aus der Zukunft können nämlich Objekte durch die Zeit geschickt werden, deren Entropie in die falsche Richtung läuft. Soll heißen: Eine Kugel bewegt sich nicht aus der Pistole, sondern in die Pistole zurück, ein Feuer erhitzt nicht, sondern kühlt ab. Die beste Erklärung liefert Wissenschaftlerin Clémence Poésy ab, wenn sie sagt: “Don’t try to understand it, just feel it.” Fürs Diagramme zeichnen bleibt auch nach dem Film genug Zeit.
Bei Tenet gibt es viel zu entpacken. Vergleiche mit dem Bond-Franchise liegen auf der Hand und wurden von Nolan selbst befeuert. In einer Pressekonferenz erzählte er vor kurzem, wie wichtig ihm als Kind die Bond-Filme waren. Seither versuche er diese Magie beim Filmemachen selbst einzufangen. Wie bei Inception gibt es wieder Menschen in teuren Anzügen und schönen Kleidern, die gefährliche Missionen in mehreren Ländern absolvieren müssen. Dieses Mal kommt noch ein narzisstischer Bösewicht (Kenneth Branagh) dazu.
Anders als bei Bond hält es sich mit den Figuren: Washingtons Protagonist ist eine leere Hülle ohne Backstory, die einzig von Washingtons Charisma gefüllt wird. Seine Flirterei mit mit Elizabeth Debickis Figur Kat hat etwas zutiefst asexuelles, etwas das Nolan seine ganze Filmographie über begleitet (wie man in unserem letzten Podcast nachhören kann). Am ausgeprägtesten ist dafür Kenneth Branaghs Bösewicht Andrei Sator, der Kontakt zur Zukunft hat und an den es heranzukommen heißt. Branagh legt Sators Nationalität ähnlich subtil an, wie er es bei seinem Poirot in Mord im Orient-Express tut. Und wer Angst hatte, dass Robert Pattinson im kommenden The Batman einen schlechten Bruce Wayne abgeben wird, schmeißt seine Bedenken nach dessen erster Szene in Tenet über Bord.
New Soundtrack, who this?
In Tenet musste Nolan aber ohne seine Geheimwaffe Hans Zimmer auskommen. Der deutsche Musiker war immer so eine Art Trumpf. Dessen Soundtrack half über die eine oder andere holprige Stelle im Skript hinweg, in Interstellar liefert Zimmers Sound die Emotionalität zwischen den Figuren. Ludwig Göransson (Black Panther, The Mandalorian) kann da nicht mithalten. Sein Synthesizer-Sound ist wie der Rest des Films ganz schön heftig. Von rückwärts abgespielten Sounds, so Ticken und einem Herzschlag-Beat verwendet er alles. Ein schlechter Soundmix im Wiener Apollo-Imax tut dann sein Übriges dazu bei, dass wichtige Dialoge einfach nicht verständlich sind. Ob das Kino schuld ist oder Nolan sich wie bei Dunkirk wieder ein bisschen zu viel gespielt hat, ist unwichtig.
Das führt aber dazu, dass man sich mit der Story gar nicht sonderlich beschäftigt und die Sequenzen für sich stehen. Das scheint auch Nolan verstanden zu haben, der vor jeder Actionsequenz noch einmal erklärt, wo denn jetzt das Problem liegt und was Washington, Pattinson & Debicki schaffen müssen. Das bringt zumindest ein bisschen Ordnung ins Labyrinth.
Zwischen mentalen Entwirrungskünsten und schierem Bombast bleibt dafür trotz zweieinhalb Stunden Laufzeit wenig Zeit für mehr. Vor allem die emotionale Komponente leidet darunter. Tenet ist sicherlich Chris Nolans kühlster Film. Und das sagt jemand, der bei The Dark Knight Rises emotional geworden ist… Zweimal.
Fazit
Tenet ist genau das, was man erwarten durfte: Ein Puzzle, das noch nie da gewesenes probiert, und ZuschauerInnen einiges zum Nachdenken mitgibt. Es ist auch Nolans komischster Film, im besten Sinn. Wer sich darüber echauffiert hat, dass Inception doch nur so tut als wäre er intellektuell, hat es hier schwerer. Und alle anderen haben in den Untiefen Tenets einfach viel Spaß.
PS: Tenet entblößt aber auch die Grenzen von Christopher Nolans Filmemacherei. Nicht mal ihm gelingt es Estland so zu filmen, als wäre es schön. Den Städtetrip nach Tallinn überleg ich mir jetzt noch einmal.
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