Zuschauen, wie der Zaun im Container liegt.
Im Frühjahr 2016 sei es gewesen, dass am Tiroler Brenner, an der Grenze zwischen Österreich und Italien, die Installation eines Grenzzauns diskutiert worden wäre. Ein Bürgerkrieg im fernen Syrien hätte zahlreiche Menschen zum Weg nach Europa veranlasst, wo sich Politiker auf die verschiedenen möglichen Fluchtrouten vorbereiten wollten.
Es erinnert wohl nicht ganz zufällig an die Einführungstexte klassischer Kinodystopien, wenn Nikolaus Geyrhalter (Über die Jahre) in schlicht gehaltenem „Weißer Text auf schwarzem Hintergrund“-Stil die Geschichte seines neuen Dokumentarfilms etabliert. Die bauliche Maßnahme, von der der Titel spricht, wird erst am Ende zu sehen sein, und selbst dann in überraschender Weise.
Aber erstmal zurück zum Beginn, wo der unangefochtene König des österreichischen „Einfach nur zuschauen“-Dokumentarfilms mit seiner unnachahmlich einfühlsamen Art der Tiroler Stimmungslage auf den Grund geht. Nüchtern betrachtet haben wir es mit einer zweistündigen Ansammlung an mehr oder weniger banalen Interviews mit mehr oder weniger irrelevanten Personen zu tun.
Kein Hochjubeln, kein Bloßstellen
Ein Grenzpolizist zeigt seinen Arbeitsplatz, Gastwirte berichten von Erfahrungen mit Fremden und ein senegalesischer Bauarbeiter erzählt über seine Heimat. Sie alle und noch viele mehr plaudern ein bisschen vor sich hin, geben ihren semi-politischen Senf zur Flüchtlingsbewegung ab und dürfen ein wenig über Heimat, Identität und Grenzen philosophieren. Das alles ist, zumindest auf den ersten Blick, so unglaublich banal und funktioniert doch so unfassbar gut.
Geyrhalters große Qualität besteht darin, eine Dokumentation anzugehen, ohne zu wissen was am Ende rauskommen soll. Anders als die vielzähligen linken Schulterklopfer-Filme gibt es bei ihm kein einziges Interview, das durch Inszenierung oder Schnitt über die anderen gehoben wird, um die Meinung des Filmemachers zu unterstreichen. Auf der anderen Seite wird niemand gefragt, nur um bloßgestellt zu werden. Stets ist ein ehrlicher, fairer Umgang mit den ProtagonistInnen zu spüren.
Einfach nur zuhören – Reicht das?
Es ist aber nicht nur diese versteckte psychologische Komponente, die diesem Film eine hohe Qualität beschert. Schön dargestellt ist etwa die Distanz zwischen Volk und Politik, wobei letztere via Nachrichten auf diversen Fernsehschirmen stets präsent ist, zugleich aber ungemein weit weg wirkt. Die Inszenierung der einzelnen Interviews ist ebenfalls gelungen, insbesondere die „lebendige Kulisse“ im Wirtshaus ist gut gewählt. Last but not least kommt die Dramaturgie, die alles perfekt beisammen hält und im abgesperrten Zaun, der in einem abgesperrten Container immer noch auf seinen Einsatz wartet, das perfekte, zynische Ende findet.
Einschränkend anzuführen ist hier einzig der müßige „ist nicht für jeden“-Hinweis. Die bauliche Maßnahme verzichtet bewusst auf das Formulieren einer klaren Aussage. Stattdessen bietet die Doku eine Fülle an Eindrücken, die zum Nachdenken anregen und das Bilden einer eigenen Meinung unterstützen soll. Das mag manchen zu wenig oder gar der falsche Ansatz sein. Für alle anderen aber ist es ein Pflichttermin.
Fazit (Michael):
Film: Die bauliche Maßnahme
Rating:
Sehr Gut (4 / 5)
In guter alter Geyrhalter-Manier ist auch Die bauliche Maßnahme nüchtern betrachtet nicht viel mehr als einfühlsames, gut gemachtes Zuhören. Aber wenn man für den daraus resultierenden Reflexionsprozess offen ist, entsteht mal wieder ein kleines Stück Kino-Magie.
P.S.: Die bauliche Maßnahme wurde ebenfalls in unserem Podcast besprochen, also einfach reinhören.
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