Deadpool 2

Das erste Mal war Selbstzweck, beim zweiten Mal kommt Deadpool in Erklärungsnot.

Mit Deadpool wurde die Superheldensatire Mainstream tauglich. Ryan Reynolds verkörperte den beliebten Anti-Helden Wade Wilson a.k.a. Deadpool, der nicht nur unsterblich ist, sondern auch permanent die “vierte Wand” durchbricht und mit dem Publikum witzelt. Die Produktionsgeschichte des ersten Teils war sympathisch genug, um Deadpool zumindest als erfolgreiches Projekt zu feiern, auch wenn es sich trotz aller Anmaßungen um absolute Stangenware handelt, was Dramaturgie und Witz anging.

Einmal kann man mit einem solchen Stunt loben und den Film als Meilenstein anerkennen, beim zweiten Mal muss aber etwas mehr Substanz her, oder?

Deadpool und Drama

Wade und seine Freundin Vanessa Carlysle (Morena Baccarin) machen den nächsten Schritt in ihrer Beziehung. Vanessa ist nun bereit Mutter zu werden und damit eine Storyline von Vaterschaftskomplexen für Wade zu beginnen. Persönliche Tragödien von Wade werden noch verstärkt, als er über einen jungen Mutanten namens Russel (Julian Dennison) stolpert, dem in einem Kinderheim unter der Leitung eines grausamen radikalen Priesters (Eddie Marsan) Unaussprechliches passiert ist. Die Wut auf dieses unfaire System treibt Russel in einen Rachefeldzug. Und als ob das noch nicht genug ist erscheint auch der Halb-Terminator Cable (Josh Brolin) aus der Zukunft, um Russel zu töten, bevor er die Zukunft vernichtet.

Flip the Truck | Deadpool 2 | Julian Dennison
Am Weg zum zukünftigen Diktator – Julian Dennison in Deadpool 2 – © Centfox

Das klingt nach viel, aber auch nach ernster Handlung, und hier stolpert Deadpool 2 vollkommen, denn ein derart ironischer Protagonist wie Deadpool kann schwer die Emotionen und Tiefe verkaufen, die für das Drama benötigt werden. So plätschert die Handlung dahin und einige Witze landen, solange sich die Geschichte nicht zu ernst nimmt. Sobald aber Emotionen gefragt sind kollabiert das gesamte Kartenhaus.

Licht, Kamera, ACTION!

Ein großes Argument für Deadpool 2 ist ein Wechsel hinter der Kamera. Anstatt Erstlingsregisseur Tim Miller ist David Leitch (John WickAtomic Blonde), der die grausam uninspirierte Action aus dem Vorgängerfilm (die auch dem stark limitierten Budget geschuldet war) mit gewohnter Expertise aufwertet. Relativ wenig Schnitte sind zwischen den Schlägen, wenn man den Film mit modernen Blockbustern wie Infinity War vergleicht. Die Kamera rüttelt kaum und die Choreographien sind klar erkenntlich. Handwerklich kommt diese Action zwar nicht an die Vorfilme des Regisseurs heran, aber für Deadpool Verhältnisse sieht man hier eine deutliche technische Steigerung. Wie bereits erwähnt liegt das auch am deutlich höheren Budget, denn Geld spielte nach dem Wahnsinnserfolg des ersten Films wohl keine Rolle mehr. Somit musste man dieses Mal nicht aus Not eine Tugend machen und ging in jeder Szene in den Overdrive.

Flip the Truck | Cable | Deadpool 2
Gekommen um das Charisma zu töten. Cable (Josh Brolin) in Deadpool 2 – © Centfox

Frauenbild halt…

Deadpool 2 ist lauter, nerviger und größer als der Vorgänger. Das gilt sowohl für Action und Gewalt (dieses Mal ist das Rating “Rated R” definitiv notwendig)… aber auch für die Fehler des Vorgängers. War Wades Ex-Stripper Freundin Vanessa im ersten Film schon dünn gezeichnet, ist ihre Rolle im zweiten Teil geschrieben als wären wir noch im vorigen Jahrhundert steckengeblieben. Vanessas Plotfunktion in Deadpool 2 wird reduziert auf die Fähigkeit Kinder zu gebären oder als tragischer Motivator für Wade zu fungieren. Gleiches gilt für die Frauen in Cables Geschichte, deren Aufgabe es ist zu sterben, um Cable Pathos zu geben. Wade spricht vor Vanessa über Kinder und meint er freue sich auf einen Sohn… oder Tochter. Im Anschluss wird jedoch nur über Söhne und Väter geredet. Einzig die Rolle der Domino (Zazie Beetz) ist ein weibliches Standout, für die Handlung aber völlig inkonsequent. Frauen in Comics haben schon immer unter sexistischer Darstellung zu leiden, aber man hätte hoffen können, dass ein Film, der Genrekonventionen mutmaßlich umdreht hier weniger in die üblichen Fallen tappt.

Aber das ist doch voll IRONISCH!

Mittlerweile wird dieser Artikel wohl jeden Deadpool Fan verloren haben, denn dieser Franchise ist ja IRONISCH und man soll das alles nicht so ernst nehmen. Aber Ironie ist keine Ausrede für schlechtes Storytelling. Wenn Wade in die Kamera blinzelt und sagt “Well, that’s just lazy writing”, dann muss man natürlich schmunzeln. Aber gleichzeitig fragt man, wieso ein Film, der tut als würde er das Genre invertieren, nichts Neues auf den Tisch bringt. Dieses Manko wirkt noch schwerer, wenn der Film offensichtlich eine für die Autoren emotional relevante Geschichte transportieren will. So wäre es für Deadpool 2 wohl besser gewesen sich für einen ironischen Rundumschlag à la Family Guy zu entscheiden, bei dem niemand gut wegkommt. Stattdessen ist Wade/Deadpool der eindeutig gute Held und wir haben eine komplett standardisierte Superheldengeschichte, die weder subversiv noch innovativ ist und einen Massenmörder komplett unironisch glorifiziert. Wenn Deadpool jemanden daran hindern muss, einen Mord zu begehen, dabei dutzende Menschen umbringt und der Film sich dieser Absurdität nicht einmal bewusst ist, dann hat der Film ein massives Problem.

Flip the Truck | Deadpool 2
Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand) und Yukio (Shioli Kutsuna) dürfen auch mitmischen, haben aber für die Handlung nichts beizutragen. Deadpool 2 – © Centfox

Für die Fans?

Nach dem Screening von Deadpool 2 war ich absolut zerrissen. Ich halte nichts von Kritiken, in denen ein Film empfohlen wird, der dem Autor zwar widerstrebt, aber durchgewunken wird, weil er den Fans gefallen wird. Deadpool 2 hat Qualitäten (und eine Szene in der Mitte bei der ich nicht mehr aufhören konnte zu lachen), aber er hat auch alle Symptome, die ich an Superheldenfilmen nicht mehr ausstehen kann. Nicht weil ich übersättigt bin, sondern weil es sich hier um moralisch verwerfliche Einstellungen handelt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es sich bei der sexistische Darstellung und dem Fokus auf Vater-Sohn Konflikte überhaupt um absichtlichen Sexismus handelt aber Satire sollte mehr als das sein. Satire als Bestätigung des Status quo – nur lauter – ist nicht nur langweilig sondern grob fahrlässig. Aus diesen Gründen kann und will ich Deadpool 2 einfach nicht durchwinken.

Fazit (Wolfgang):

Film: Deadpool 2
Rating:

User1.Wolfgang.Rating2.Lukewarm.Frei_1
Lauwarm (2 / 5)

Eine ernsthafte Kritik zu Deadpool 2 war vielleicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich hoffe trotzdem, dass dieser Artikel den ein oder anderen Denkanstoß liefert. Wenn ihr nur runter gescrolled habt, um das Rating zu sehen und einen knackigen Schlusssatz sucht, muss ich euch enttäuschen, bitte den Artikel von Anfang an lesen für meine Rechtfertigung.

 

Wolfgang Verfasst von:

Der Host des Flipthetruck Podcasts. Mit einem Fokus auf Science Fiction und Roboter sucht er ständig jene Mainstream Filme, die sich nicht als reine Unterhaltungsfilme zufrieden geben.

2 Kommentare

  1. Problembaer
    26. Mai 2018
    Antworten

    Werter Herr Wolfgang,

    Sie haben sich bei Ihrer Kritik sehr viel Mühe gegeben und sicher lange nachgedacht, möglicherweise sogar während des Films kleines Notizen angefertigt, um ihr Verdikt dann später umso kompetenter und fundierter abgeben zu können.
    Und möglicherweise ist das genau der Fehler an der Sache. Wir brauchen uns wohl nicht lange über die eher dünnen intellektuellen Grundlagen bei Superheldenfilmen bzw. deren Persiflagen auszutauschen. Um es kurz zu machen: Sie setzen bei einer Achterbahnfahrt auf einem Las Vegas Rollercoaster, der von Hooters-Personal bedient wird, die Beurteilungsmaßstäbe einer Ö1-Kulturreise durch die Klöster Bulgariens an.

    Ich bin als alternder Babyboomer nicht wirklich die Zielgruppe und war mit meinem Sohn und Schwiegertochter im Kino und wir drei haben einfach so viel gelacht wie seit ewigen Zeiten nicht mehr.. Vielleicht auch, weil spürbar war, dass die Filmemacher genau wußten, ihre Figuren würden die tragischen Momente nicht mal ansatzweise derheben und auch da immer ein ironischer Unterton mitschwingen muss. Anders läßt sich so ein Film auch nicht erzählen. Superhelden, Mutanten, Zeitreisen um die kommende Zukunft zu ändern, da bewegt man sich nicht auf dünnem Eis, da muss man quasi übers Wasser gehen. Dass dabei trotzdem so kurzweilige zwei Stunden plus im Kino rauskommen, grenzt eh fast schon an ein Wunder.

    Also – Nehmen Sie’s ein bisschen leichter. Wenn schon Popcornkino ohne großen intellektuellen Anspruch, dann so was.

    Beste Grüße, Ihr Problembär

    • 2. Juni 2018
      Antworten

      Werter Herr Problembär,

      Danke für das Detailierte Kommentar, auch wenn viele Annahmen getroffen wurden, die nicht zutreffen.
      Von Notizen während des Kinoschauens halte ich wenig bis gar nichts, da es die Filmerfahrung komplett nimmt, aber die sexistischen Untertöne waren nicht wegzuwischen.
      Weiters halte ich wenig vom Argument, dass der Film sich nicht ernst nimmt und wir deswegen ebenfalls jegliche Problematik ignorieren sollen, denn dafür ist Deadpool 2 viel zu ernst und gewichtig. Klar, der Film grinst immer in die Kamera und hofft dadurch einer kritischen Analyse zu entgehen, aber zwischen den Lachern (X-Force Sequenz ist absolutes Comedy-Gold) bietet er wenig außer Einheitsbrei, der absolut uninspiriert ist.
      Somit fällt Deadpool 2 in die gleiche Kategorie wie Dreamworks Filme: Unsagbar faule Produkte, die ihre Fehler kaschieren wollen, indem sie schneller sind als die Kritik, frei nach dem Motto “If you are the first to make fun of yourself, people can’t make fun of you”… was in meinen Augen ein absolut billiges und faules Stilmittel ist.
      Dass Superhelden-Persiflage und Spaß und Unterhaltung gleichzeitig geht hat “Kick-Ass” schon vor vielen Jahren bewiesen, mit Deadpool 2 kommt die uninspirierte Version davon in den Mainstream.

      Es freut mich, wenn Sie Spaß hatten, aber bitte machen Sie nicht den Fehler, dass wir nicht wissen, welche Art von Film Deadpool sein will und als welcher er bewertet werden will. Nur wenn zuhauf viel besseres im Actionkino (John Wick) oder im absurden Blockbusterkino (Fast Five) geliefert wird, ist Deadpool 2 selbst für sein eigenes Genre relativ unbeeindruckend.

      Danke noch einmal für die Rückmeldung
      Wolfgang

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