Wer war eigentlich John F. Kennedy?
Todesfälle miteinander zu vergleichen ist ja eigentlich eine makabere Geschichte, dennoch machen wir alle es recht regelmäßig. Stirbt jemand nach einer langen Krankheit spricht so mancher gern von einer Erlösung, während beim unfallbedingten Ableben eines Kindes von besonderer Tragik die Rede ist. In einem grauslichen fiktiven Rating wäre jene Situation, in der sich Jackie Kennedy nach der Ermordung ihres Ehemanns 1963 befunden hat, wohl unangenehm weit vorne dabei.
Die ersten Minuten, Tage und Wochen nach dem tödlichen Schussattentat auf US Präsident John F. Kennedy sind auch der Fokus von Pablo Larrains furios-vielschichtiger Biographie. Als Aufhänger dient ein Interview, in dem Jackie Kennedy (Natalie Portman) einem Journalisten (Billy Crudup) zutiefst persönliche Dinge erzählt, deren Publikation sie jedoch strikt verbietet.
Diese Ausrede ist nur eine von vielleicht ein bisschen gar vielen Storytelling-Rahmen, in die die Geschichte gepresst wird. So gibt es einige Fixpunkte, an die sich Larrain immer wieder orientiert, um seine an sich recht wild umher springende Erzählung nachvollziehbar zu machen. Ob das wirklich notwendig gewesen wäre, sei mal dahingestellt, doch das Bild, das sich innerhalb dieser Rahmen zusammensetzt, macht das ohnehin locker wieder wett.
Dabei ist in Jackie der Name absolut Programm, einen insgeheimen Film über den verstorbenen US-Präsidenten gibt es hier nämlich nicht zu sehen. Dessen Ermordung ist zwar freilich die Ausgangsbasis, behandelt wird aber ausschließlich die Reaktion der Witwe. Chronologisch unsortiert sehen wir unter anderem ihren Umgang mit dem ersten großen Schock, das Planen des Begräbnisses und den schmerzhaften Auszug aus dem weißen Haus. Ein Wort, das in all diesen Szenen übermächtig umher schwebt ist legacy.
Legacy oder doch Egoismus?
Vermächtnis ist in der deutschen Sprache ja ein fast schon stiefmütterlich behandeltes Wort. In Europa, so könnte man plakativ und unfair behaupten, leben wir eben in der Gegenwart. Über dem großen Teich hingegen ist die legacy zumindest in manchen Kulturkreisen mehr oder weniger das, wofür es sich zu leben lohnt. Wenn nun Jackie Kennedy das Begräbnis ihres Ehemannes pompös plant, um der Öffentlichkeit klarzumachen welch ungemein wichtiger Mensch da gerade die Erde verlassen hat, mischt sich aber auch eine starke persönliche Komponente dazu. Jackies Überlegungen darüber, ob sie das ganze Vermächtnis-Getue eigentlich tatsächlich für ihren Mann oder nicht doch für sich selbst macht, führen unweigerlich zur Frage: Ist nicht alles was wir machen purer Egoismus?
Wer sich der philosophischen Überinterpretation des Filmes nicht bemächtigen möchte, der kann schon eine Stufe näher an der Oberfläche dutzende Qualitäten entdecken. Hier ist etwa eine potent geschriebene Charakterstudie zu erkennen, die in Natalie Portman eine absolut herausragende Hauptdarstellerin hat, dank der sämtliche Nuancen zum Vorschein kommen. Nur an ihrem Akzent, der dem berühmten Vorbild angepasst wurde, muss sich der Zuseher erstmal gewöhnen. Auch auf technischer Ebene ist Jackie rundum gelungen, insbesondere Kostümdesign und Makeup schaffen den Spagat zwischen historischer Korrektheit und charakterbildenden Details. Die Bilderkompositionen sind durchaus virtuos und geben genügend Raum für tiefgreifende Interpretationen.
Wirklich kritisieren muss man hier eigentlich nur das Ende. In den letzten Minuten versucht dieser Film, der sich bis dahin meisterlich auf das Stellen interessanter Fragen konzentriert hat, seine Erzählung in eine klare Aussage zu pressen. Das schadet nicht nur der so interessanten Ambivalenz, es kommt auch in Sachen Storytelling ziemlich aus dem Nichts.
Fazit (Michael):
Film: Jackie
Rating:
Jackie schafft es, einer so bekannten historischen Figur faktisch gerecht zu werden und darüber hinaus, irrsinnig interessante Fragen in den Raum zu stellen. Man sollte unbedingt ins Kino gehen, darf den Saal aber gerne schon 5 Minuten vor Schluss verlassen.
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