Marmor, Stein und Eisen bricht – und die Liebe sowieso und das Leben erst recht. In der vielschichtigen Charakterstudie L’Avenir feiert Mia Hansen-Løve einmal mehr die Melancholie.
Mit Eden lieferte Regisseurin Mia Hansen-Løve eine herrliche Ode an das Scheitern, dargestellt durch einen DJ, der kopflos seinen Lebenstraum verfolgt und sich im Dschungel des Lebens verirrt. Das Außergewöhnliche an diesem herausragenden Denkmal, das die Französin damit dem Disco-Subgenre Garage bereitet hat, ist der Optimismus, der ihm innewohnt. Eden muss als Liebeserklärung an die Melancholie gesehen werden, auch in Løves neuen Langfilm verhält es sich ähnlich.
Anders als der Vorgänger beschäftigt sich L’Avenir an der Oberfläche allerdings mit weitaus alltäglicheren Themen. Nathalie (Isabelle Huppert), Philosophielehrerin in ihren letzten Arbeitsjahren, wird von ihrem Mann Heinz (André Marcon) verlassen, die depressive Mutter (Edith Scob) verlangt ihr alles ab und auch beruflich läuft es nicht rund. In Sachen Plot im Sinne von Prämisse wars das dann aber auch schon wieder, zumindest noch erwähnt werden sollte ihr Ex-Schüler und guter Freund Fabien (Roman Kolinka).
Brillante erste Einstellung
Man sieht: An großen Storybögen hat Løve noch immer keinen Gefallen gefunden. Auch in L’Avenir heftet sie sich lieber auf die vermeintlich unspektakulären Spuren einer detailliert geschriebenen Figur. Dass das in jeder Hinsicht funktioniert liegt in erster Linie an einem Drehbuch, dessen Dialoge allein ein purer Untertitel-Lesegenuss sind. Dabei wird die tief von Melancholie durchtränkte Handlung immer wieder durch sanften Humor genial konterkariert.
Alleine die erste Szene ist ein meisterhaft inszeniertes Stück an schwarzem Humor, ohne dabei einen Witz auf Kosten der Figuren machen zu müssen. Die da noch glücklich verheirateten Nathalie und Heinz bleiben vor einem Kreuz stehen. Während die Kinder gelangweilt davon laufen, sehen sich die Erwachsenen offensichtlich mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Es folgt eine distanzierte Einstellung, die aus der Ferne die beiden Eheleute neben dem Grab stehen sieht. L’Avenir, zu deutsch also Zukunft, verrät uns der Titel.
Stimmig bis zum Schluss
Die Regie von Løve ist europäischer Filmtradition folgend relativ subtil. Wie schon in Eden hat sie aber auch hier keinerlei Angst davor, der Musik – in diesem Fall ist sie der Klassik zuzuordnen – zwischenzeitlich das Heft in die Hand zu geben. So stark diese Filmemacherin auch agiert, dieser Film wäre dennoch nicht halb so viel wert ohne die großartige Isabelle Huppert. Sie meistert alle Facetten dieses psychologisch so anspruchsvollen Drehbuchs mit Leichtigkeit. In einem schwierigen Moment sitzt sie weinend im Bus, als sie plötzlich ihren Mann mit der neuen Liebschaft auf der Straße entdeckt. Nathalie bricht in einen Lachkrampf aus, der so bittersüß ist wie das meiste, das in den 100 Minuten Laufzeit so passiert.
Einziges kleines Manko ist, dass die bewusst offene Erzählweise Raum für den ein oder anderen Moment gibt, der ein wenig verzichtbar wirkt. So geht an manchen Stellen vielleicht ein bisschen zu viel des ohnehin wagen Flows verloren, wenngleich das dem melancholischen Gesamtbild natürlich ganz gut entspricht. Im Vergleich zu Eden macht sich L’Avenir aber weniger von der vermittelten Stimmung abhängig. Von philosophischen Überlegungen bis hin zu ausgefeilten Charakteren gibt es viel zu entdecken. Und wenn das als Argument für einen Kinobesuch noch nicht reicht: Das Schlussbild ist ebenso offensichtlich wie brillant und rührt zu Tränen.
Fazit (Michael)
Film: L’Avenir
Rating:
Sehr Gut (4/5)
Ein brillantes Drehbuch wird von einer brillanten Schauspielerin zum Leben erweckt. Kurz: L’Avenir zählt zweifellos zu den besten Filmen des Jahres.
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