Erotik und Tiere sind immer so ein bisschen tabuisiert, zumindest wenn sie miteinander in Zusammenhang stehen. In Wild sieht man Szenen, bei denen man das Gefühl hat, eigentlich nicht anwesend sein zu dürfen, ohne, dass die Grenzen des guten Geschmacks zu sehr ausgelotet werden.
Aber was ist schon guter Geschmack, vor allem für das europäische Kunstkino? Eigentlich nur ein recht weicher, wabbeliger Maschendrahtzaun hinter der eine scheinbar empörte Meute sitzt und an dem sich die KünstlerInnen lustvoll reiben können. So, wie Ania (Lilith Stangenberg) sich lustvoll an ihrem Wolf ergötzt, doch dazu kommt es erst später. Denn zuerst ist Ania nicht viel mehr als ein Schatten ihrer Selbst.
Sie ist eine passive Frau, die vollends in sich gekehrt zu sein scheint. Dass sie sich überhaupt von ihrem Wohnblock, einem farblosen, ostdeutschen Plattenbau, abhebt, ist ein Wunder. Doch eines Tages fängt ein Impuls aus ihrer Umwelt an, in ihr zu wachsen und zu gedeihen. Genauer gesagt ist es die Sichtung eines Wolfes, der scheinbar in den Wäldchen rund um ihr tristes Zuhause lebt, die sie zu einem neuen Menschen macht.
Aus der anfänglichen Faszination wird eine regelrechte Obsession, die die eigentlich antriebslose Frau zu gedanklichen und organisatorischen Höhenflügen antreibt. Mit viel Geschick und Recherche fängt sie den Wolf und was dann kommt, ist eine Mischung aus Der Nachtmahr und Feuchtgebiete.
Passive Arrangements
Erstere Referenz bezieht sich vor allem auf eine aktuelle Strömung des deutschen Kunstkinos. Hier treffen fast schon überzeichnete Stories auf eine Art Videoclip-Ästhetik und werden mit neuen, unverbrauchten Talenten gespickt. Zwar ist Lilith Stangenberg eine ausgebildete Theaterschauspielerin, also kein Greenhorn, aber im Film hatte sie noch nicht sehr viele Rollen. Sie spielt Ania voller feiner Untertöne und mit viel Kraft. Das ergibt eine Figur, deren Handlungen und Reaktionen man überhaupt nicht einschätzen kann, was für die ZuseherInnen eine angenehm unrunde Atmosphäre schafft.
Dazu tragen auch die Szenen mit dem Chef (Georg Friedrich) von Ania bei. Denn wenn die beiden aufeinandertreffen, dann ist da so eine latente Erotik, die nicht ganz koscher ist, zumal Ania sich anfangs wie ein Lamm bei der Opferung gebärdet. Später übernimmt sie zwar schon die Kontrolle über ihr Leben und ihre Sexualität, aber da hat sie schon etwas von einer Frau mit Persönlichkeitsstörung. Regisseurin und Drehbuchautorin Nicolette Krebitz lässt aber nicht zu, dass ihr Film in solche Banalitäten wie reale zwischenmenschliche Beziehungen abgleitet.
Zwar scheint der Gestank aus Anias Wohnung, in der der Wolf lebt, die Nachbarin zu verärgern, doch ist das fast schon pennerhafte Aussehen der jungen Frau kein Abturner in den darauffolgenden erotische Szenen. Die Realität bricht immer nur für Bruchteile in Anias Welt durch, ähnlich wie ein Sonnenstrahl kurz blendet, wenn er auf ein glänzende Oberfläche fällt.
Verbotenes Knistern
Dem Sonnenstrahl kann man durch das Wegdrehen des Kopfes entgehen und Ania macht es ganz änhlich mit den unbezwingbaren äußeren Einflüssen: Sie löst die Probleme auf eine in ihrer Welt sehr logischen Weise. Wie lockt man einen Wolf aus dem Versteck? Sie kauft ein Kaninchen und lässt es im Wäldchen frei, um dann nach dem Kadaver zu suchen. Der Wolf braucht etwas zu fressen, aber ist es nicht zu gefährlich sein Zimmer zu betreten? Kein Problem, sie hämmert ein faustgroßes Loch in die Wand, durch das sie die Fleischbrocken stecken kann. So geht die junge Frau durch eine absurde Realität, die aber ihr ganzes Sein ausfüllt. Im Endeffekt wirkt sie ab dem Zusammentreffen mit dem Wildtier so glücklich wie noch nie.
Und die Feuchgebiete kommen dann auch noch zu Tage, denn Ania ist ziemlich verliebt in den Wolf, also mit allem was dazugehört. Da wird das Publikum auch nicht mit erotischen Mensch-Tier-Szenen verschont, aber dies ist weder geschmacklos noch billig. Die Regisseurin schafft es einfach, das Ganze so ästhetisch zu gestalten, dass man lustvoll hinter vorgehaltenen Händen hindurch schielt und sich sehr gut amüsiert.
Nun kann man nicht nur viel Symbolik im Film erkennen, sondern auch sehr viele Erklärungen hineininterpretieren. Klar ist, dass Nicolette Krebitz wirklich einen Film über die Liebe zwischen einer Frau und einem Wolf machen wollte. Der Wolf steht dabei aber nicht für einen Mann, denn darauf hat die Regisseurin extra verzichtet, um den ganzen gesellschaftlichen Wechselwirkungen zwischen Mann und Frau zu entgehen. Klar kann man sagen, dass die Begegnung mit dem Wolf auch eine totale Befreiung von den gesellschaftlichen Konventionen darstellt. Ania löst sich von dem Hamsterrad und wird zu einem freien Menschen. Ob diese Lebensweise aber von Dauer sein kann, lässt der Film offen und das ist auch gut so.
Fazit (Anne)
Film: Wild
Rating:
Sehr gut (4 / 5)
Wild vereint Kunstfilm-Ästhetik mit einer sehr ungewöhnlichen Story, die in der Gedankenwelt der Protagonistin von vorne bis hinten Sinn ergibt. Und man sieht viele Dinge, die einem eigentlich tabuisiert erscheinen, aber trotzdem sehr amüsant zum Anschauen sind.
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