Mit Der Nachtmahr erweckt Regisseur Akiz nach langjähriger Arbeit endlich seine Figur – den Nachtmahr – zum Leben. Rund um diese Figur erzählt er die Geschichte der jungen Tina, die in Berlin von Rave zu Rave rennt und eigentlich ganz zufrieden scheint mit den schlaflosen Nächten.
Die Nacht ist noch jung. Vor allem nach einer Line Kokain. Der Rave ist nächtens in einem Freibad angesiedelt. Laut donnert der Beat und die Lichteffekte sind nichts für Epileptiker. In der Mitte von allem die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow), die mit ihren Freundinnen zum Party machen gekommen ist. Obwohl sie mittendrin und auch voll dabei ist, merkt man ihr schon an, dass etwas nicht ganz so stimmt. Nicht nur weil ihr Schwarm Adam (Wilson Gonzales Ochsenknecht) auch dort ist.
Am Handy sieht sie ein Video von einem Mädchen, das vom Auto überfahren wird und kurze Zeit später wird sie von eben jenem Auto überfahren während sie versucht eine auf der Straße liegende Kette aufzuheben. Von diesem Moment an ist man entweder im Film angekommen oder ausgestiegen. Man weiß nicht mehr so recht, was hier noch Realität und was Vorstellung ist. Tina hört Geräusche, die sonst niemand hören kann und kommt in Kontakt mit dem Nachtmahr, einem grindigen Wesen, das an einen Tschernobyl-E.T. erinnert. Zusammengeschnorft sitzt es vor dem Kühlschrank und krächzt vor sich hin. Den Zusammenhang muss Tina und auch der Zuschauer erst herausfinden.
Die Vorbilder spürt man vom Weiten weg
Man darf sich keinen Horrorfilm erwarten und auch keine lineare Erzählstruktur. Viel zu oft wird aus den Szenen ein Albtraum oder eine Halluzination. Was ist echt, was bildet sich Tina nur ein und wie hängt das alles zusammen, sind so die Fragen, die sich einem stellen. Man wartet auch vergebens auf die erklärende Zusammenfassung am Ende. Der Zuschauer bekommt was er investiert. Eine junge Frau muss sich mit ihrem inneren Freak auseinandersetzen und ihn akzeptieren. Diese Botschaft hat Akiz für sich selbst gefunden. Er betonte aber beim Q&A auf der Viennale, dass seinen Film einen nachdenkenden Zuschauer benötigt, der sich noch mit dem Nachtmahr beschäftigt, wenn die Credits gelaufen sind. Man spürt einerseits das wage Erzählen eines David Lynch, als auch den donnernden, leinwandfüllenden Vibe von Gaspar Noe, wenn man tief in den Rave abtaucht und von der Musik völlig übermannt wird.
Guerrilla Filmemacherei
2001 hatte Akiz die Idee für eine Figur. Als Statue war der Nachtmahr zuerst gedacht gewesen, aber Akiz ist auch Regisseur und deshalb hat er einfach mal eine Geschichte drüber geschrieben. Die Finanzierung fiel aber viele Jahre lang flach und die Filminstitute Deutschlands hatten kein Interesse, so musste er es auf die harte Tour machen. Ohne Genehmigung filmte er an öffentlichen Orten, denn zahlen konnte er fast nichts. Wilson Gonzales Ochsenknecht kennt er von Berlinern Saufgelagen und der Gastauftritt von Kim Gordon (Sonic Youth) kam eher zufällig zustande. Gekostet hat ihr Involvement die Taxifahrt von Drehort zum Hotel. Das soll aber nicht bedeuten, dass der Dreh ein Klacks war. Die Nachtmahr-Puppe musste von sieben Personen gleichzeitig bedient werden und bei örtlichen Bewegungen war sie komplett animiert. Es war ein sparsames Geld zusammenkratzen, das schlussendlich zur Realisierung des Filmes geführt hat.
Tonexperimente obenauf
Trotz eines Minibudgets und nur einer Kamera hat es sich Akiz nicht nehmen lassen zu experimentieren. Schon zu Beginn des Filmes steht, dass er bineurale Beats verwendet und um euch das googlen zu ersparen, die Erklärung:
Grob gesagt hören wir mit dem linken Ohr einen anderen Frequenzbereich als mit dem rechten und laut Akiz sollte dadurch ein meditativer Effekt erzielt werden.
Ob das mit dem Soundsystem in einem Kino überhaupt funktioniert bezweifelt er aber selber. Zu diesen eher ins leere führenden Experimenten kommt dann noch ein Drehbuch, das noch ein paar Überarbeitungen benötigt hätte. Es gibt doch einige Stellen, wo man frustriert die Leinwand anschreien möchte. Der Regisseur sagt von sich selbst, dass es die zweite oder dritte Version des Skriptes war.
Moviequation:
Verdikt – Patrick:
Film: Der Nachtmahr
Rating:
Akiz konnte seine Vision verwirklichen und für uns Zuschauer bleibt mit Der Nachtmahr ein Film zurück, der surrealistisch angehaucht, vom Kinobesucher einen Dialog fordert. Die Belohnung liegt in einer Vielzahl an unterschiedlichen Deutungs- und Interpretationsmöglichkeiten. Das Projekt und das Ergebnis schaffen es auch über einige Schwächen des Drehbuches hinwegzuhelfen. Der Nachtmahr ist aber kein Horrorfilm und darf auch nicht als solcher gesehen werden, sonst ist Frust vorprogrammiert.
*Wir alle kennen das. Da ist man um Mitternacht im Kino, um sich einen Film bei der Viennale anzusehen und ist schon ein bisschen mitgenommen. Deshalb gibt es vorerst kein Rating und wir lassen uns etwas Zeit zum sinnieren.
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