Invisible City ist ein lettischer Dokumentarfilm über die letzten Bewohner der kontaminierten Zone rund um Tschernobyl, die sich vielmehr auf impressionistische Eindrücke verlässt und dabei den behandelten Personen einen angenehmen Schatten der Anonymität verleiht.
In der Ruhe liegt die Kraft
Meistens sehen wir Landschaften: Bäume, Wiesen und Flüsse. Erst nach einiger Zeit kommen Hütten zwischen all dem Grün zum Vorschein. Alte Häuser, überwuchert mit Pflanzen, Bäume die Dächer durchlöchert haben. Eine Brücke, die ganz windschief über einem Bach hängt. Aus dem Wald kommt ein junger Mann, der sich den Weg durch das ganze Gestrüpp und Gesträuch bahnt. Das ist der 30-jährige Igor, der nichts mehr von seinen Eltern wissen wollte und zweieinhalb Tage von Kiew hierher gegangen ist. Quer durch die Quarantänestation rund um Tschernobyl. Seine Nachbarn sind alte Menschen, die kurz nach dem Nuklearunfall beschlossen haben, wieder zurückzukommen. In den Lagern der Umgesiedelten gab es kein Essen, keine Decken. Sie sind lieber in ihre alten Häuser zurückgegangen. Wenige leben hier immer noch, die meisten sind tot. Ob aus Altersgründen oder aufgrund einer Strahlungskrankheit ist nicht erkenntlich.
Der Regisseur Viestur Kairish durfte fünfmal jeweils fünf Tage in das verseuchte Gebiet. Ein alter Geigerzähler war sein ständiger Begleiter, den angebotenen Speis und Trank musst er ablehnen. Diese Informationen bekommt man nicht vom Film, nur vom Q&A danach. Dass die eigentliche Geschichte außerhalb des Filmes passiert, kann ein Problem sein. In Invisible City ist ein gewisser Zwiespalt. Die Hintergrundinfos von Kairish machen den Film besser, aber wieso er dann einen so impressionistischen Film macht, der von einer Märchenerzählung eingerahmt wird, ist unklar. Und an sich ist es ein charmanter Film, der keine Antworten gibt, das Märchen macht die Dokumentation zu einer Parabel, aber weshalb lässt man eine spannende Geschichte rund herum unangetastet? Wenn man eine sehenswerte 68-minütige Dokumentation vor sich hat, hilft es dann, wenn man als Zuschauer weiß, dass hier irgendwo eine 90-minütige Invisible City Version versteckt ist, die komplett diametral ist?
Gestehen wir dem Regisseur hier einmal zu, dass er genau das Projekt verwirklicht hat, das er sich vornahm. Dann bleibt mit Invisible City eine unaufgeregte Eindrucksammlung aus einer geradezu unerforschten Zone. Wir werden von den wenigen Personen überrascht und eingenommen. Der junge Mann namens Igor baut sich selbst einen Generator und lernt sich alle notwendigen Skills zum Überleben. Er teert ein Boot zusammen, bevor er fischen fahrt. Er findet einen toten Biber und versucht ihn irgendwie zu häuten, professionell wirkt das nicht, dafür funktioniert es. Kairish bettet seine Dokumentation in einem Märchen über eine Stadt, die bei Gefahr im Wasser verschwindet und von den Feinden nicht auffindbar ist. Immer wieder lesen die Bewohner der realen unsichtbaren Stadt diese Geschichte vor. Der Film ist so gut wie musiklos, nur dreimal wird klassische Musik über die Szenen gelegt. Das Märchen der untergehenden Stadt und die vorkommende Musik kommt aus einer russischen Oper, die der eigentliche Opernregisseur Viestur Kairish gerne einmal aufführen wollen würde.
Fazit (Michael):
Film: The Invisible City
Rating:
Empfehlenswert (3 / 5)
Was am Ende von Invisible City bleibt ist ein impressionistischer, ja fast meditativer Film, dem es nicht um einen Informationsgewinn geht, sondern um ein Gefühl der Freiheit mit all den guten und schlechten Aspekten. Der Zuschauer wird mit Menschen konfrontiert, die nach ihren eigenen Regeln leben und nur wenig Kontakt mit außen haben. Wer einen ruhigen Abend haben will hat mit Invisible City die perfekte Beschäftigung gefunden.
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