Wie schon so oft beschäftigt sich Regisseur Stephen Frears wieder einmal mit einer “unglaublichen wahren Geschichte”. In The Program wird die Karriere von Radfahrer Lance Armstrong verfilmt, der unfassbare Erfolge feierte, Jahre später aber des Dopings überführt wurde.
Der Radprofi Lance Armstrong (Ben Foster) baut sich mit Hilfe von Ärzten und skrupellosen Teamchefs ein kleines Dopingimperium auf. Dieses System verhilft ihn zu in der Sportgeschichte unerreichten sieben Tour de France-Erfolgen in Serie. Im Laufe der Zeit kommen aber von Seiten der Öffentlichkeit immer stärkere Zweifel darüber auf, wie ehrlich diese Erfolge errungen werden. Vor allem der Sportjournalist David Walsh (Chris O’Dowd) findet immer wieder stichhaltige Hinweise auf Doping.
Radfahren kann so einfach sein!
Man weiß gar nicht wo man anfangen soll. Normalerweise könnte einmal kritisiert werden, dass der Charakter von Lance Armstrong nicht adäquat dargestellt wird. Stimmt aber nicht, er wird in The Program nämlich gar nicht charakterisiert. Eine einzige Szene, in der der undurchsichtige Sport-Bösewicht einem krebskranken Kind eine Minute Aufmerksamkeit schenkt, reicht nämlich nicht aus, um von Vielschichtigkeit zu sprechen. Wir haben also schon mal eine Hauptfigur, die fast schon beeindruckend uninteressant ist – eine lose Hülle, der wir vollkommen hilflos zusehen wie sie Scheiße baut. Hilflos deswegen, weil bei praktisch keiner Szene eine emotionale, charakterbasierte Motivation zu erkennen ist.
Wäre eigentlich wurscht, wenn der Film andere Stärken hätte. So könnte er ja zum Beispiel eine ganz nette Hommage an den Radsport sein. Rush von Ron Howard etwa hatte durchaus auch seine Schwächen, war aber bei den Formel 1-Szenen durchgehend spannend. The Program hingegen ist eine der dümmsten Darstellungen einer – zugegeben für Einsteiger nicht ganz so offensichtlichen – Sportart, die ich seit langer, langer Zeit im Kino gesehen habe. Einfach mal schnell den Berg rauffahren, wenn die anderen schon müde sind und – Yeah, ich hab die Tour de France gewonnen! Ernsthaft jetzt, Herr Frears? Nicht böse sein, aber wenns den Radsport sowas von überhaupt nicht verstehen, machens bitte einen Film über was weniger kompliziertes. Minigolf? Schnell-Gehen? Der Eisstockschießen-Weltverband würde sich sicher auch über einen Anruf freuen!
Einer gegen alle!
Nein, es muss Radfahren sein, dieser hochinteressante Sport, der (spätestens) Ende der 90er Jahre durch eine enorme Dopingwelle geradezu zerstört wurde. Das empfand übrigens auch der Journalist David Walsh als Schande, schrieb darüber ein Buch und liefert damit jetzt die Vorlage für diesen Film. Das ist ja eigentlich ganz nett, blöd nur, dass diese Adaption ihm fast schon lächerlich hochlobend in den Popo kriechen möchte. Zwar hat die halbe Sportwelt jahrelang Zweifel an Armstrongs Erfolgen gehegt, das hindert The Program aber nicht mit offensichtlichster dramaturgischer Verfälschung Walsh als den EINZIGEN Menschen weit und breit darzustellen, dem die Leistungen des Radprofis nicht ganz geheuer sind.
Apropos historische Korrektheit: Damit ist es hier ja auch so eine Krux. Ich bin ja ein Anti-Fan davon, auf jeden Fakt zu beharren und alles bis ins kleinste Detail richtig darzustellen. Am Ende will ich immer noch einen interessanten Film sehen, ist ja klar, dass da nicht alles stimmen kann. ABER: The Program hat so wenig zu bieten, dass ich wenigstens ein paar spannende, dreckige Geschichten über Armstrong und das ganze Doping-System sehen will. Als Sportfan ist man in dieser Hinsicht ja von einer Art masochistischer Sensationsgeilheit befallen. Was kriegen wir? Armstrong steigt aus einer Laune heraus zum Doping-Arzt in den Bus und sagt, er will was zum Schlucken haben. Sorry für die Wortwiederholung, aber: Ernsthaft jetzt? Na genau so wird es abgelaufen sein. Außerdem ist es absurd, wie der Film die paar Dinge, die Armstrong im Detail gestanden hat, immer wieder breit tritt, um all das was offiziell nicht gesagt werden darf, ausblenden zu können.
Potenzial beim Fenster raus
Also ja, The Program ist eine Rad-Massenkarambolage, in der alle leiden, vor allem aber das Publikum. Eigentlich wär das ja egal, schlechte Filme gibt’s ja sowieso genug. Aber:
- Ist Doping Betrug, wenn es jeder macht?
- Hat Armstrong nur gewonnen, weil er besser gedopt hat als die anderen?
- Wenn ja, ist er dann trotzdem der Sieger?
- Ist gut organisiertes Doping auch eine – von moralischen Werten abgesehen – respektable Leistung?
- Und wie konnte sich die ganze Welt, vor allem aber die USA – Promis und Fans unterstützten ihn dort bis zum Schluss – so blenden lassen, dass offensichtliche Dinge ignoriert wurden?
Das sind nur die offensichtlichen Fragen, wegen derer hier so viel möglich gewesen wäre. Anstatt diese zu stellen, ist der Film ein vollkommen lieblos hingepracktes, äußerst verzichtbares Projekt.
Moviequation:
Fazit:
Film: The Program
Rating:
Keine Charaktere, uninspirierte dramaturgische Veränderungen der Geschichte und eine Darstellung einer Sportart, die derart misslungen ist, dass man nicht mehr weiß ob man lachen oder weinen soll – The Program macht so ziemlich alles falsch, was ein Sport-Biopic falsch machen kann.
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