Österreich kann auch Coming of Age-Kino. Das hierzulande eher selten beackerte Filmgenre bekommt durch Sabine Hiebler und Gerhard Ertls Romanverfilmung Chucks einen sehr ordentlichen Vertreter, der sich seiner Herkunft nicht schämt.
Die Wiener Jugendliche Mae (Anna Posch) hat sich nach dem Tod ihres jüngeren Bruders der Punkszene zugewandt. Zwischen Saufen, Partys und Schule schwänzen versinkt ihr Leben in der Orientierungslosigkeit bis sie bei der Strafarbeit im Aids-Hilfe-Haus den Erkrankten Paul (Marukus Subramaniam) kennen lernt und sich in ihn verliebt. Da der Deutsche neben der Immunsystem-Krankheit auch noch von Hepatitis C betroffen ist, ist ihr Glück nur für eine kurze Dauer bestimmt.
Hohle Hauptfigur, andere Stärken
Von Beginn weg fokussiert sich der Film sehr stark auf seine Hauptfigur, was etwas problematisch ist, da sie eigentlich die größte Schwäche von Chucks darstellt. Das bezieht sich in keinem Fall auf die durchaus charismatische Anna Posch, sondern auf die Figur der Mae, die nie so richtig Form annimmt. Sie bleibt die ganze Zeit über eigentlich eine recht hohle Schablone, die nur über ihre Erlebnisse definiert wird. Mit viel gutem Willen könnte man das Authentizität nennen, weil ein jugendlicher Charakter eben noch nicht voll geformt ist. Unterm Strich bleibt dennoch eine wenig interessante Hauptfigur, was einfach als Minuspunkt angekreidet werden muss.
Was in Sachen Charakterzeichnung nicht so klappt, haut aber in anderen Bereichen sehr gut hin. Überzeugen kann vor allem der Mut, den Regisseurin und Regisseur an den Tag legen. Die Story selbst ist weder komplex noch allzu originell, aber an die Thematik “Traumatisiertes Mädchen verliebt sich in todkranken Mann” muss man sich erstmal herantrauen. Gelungen ist vor allem wie es Chucks gelingt, die erzählte Geschichte trotz des stets präsenten Damoklesschwert als positive Episode in Maes Leben zu inszenieren. Sie kommt über den krankheitsbedingten Tod ihres Bruders sozusagen mit Hilfe eins zweiten, in einer gewissen Art und Weise kontrollierbaren Schicksalsschlag hinweg.
Go fuck yourself auf Wienerisch
Außerdem positiv: Chucks ist, auf absolut angenehme Art und Weise, der vielleicht patriotischste österreichische Film der Kino-Saison. Freilich ist das nicht auf irgendwelche fehlgeleiteten politischen Ansichten zurückzuführen, aber es wird einfach zur heimischen Kultur gestanden. Bei der Musik wird dieser ehrenwerte Gedanke noch ein bisschen plump durchgesetzt, man präsentiert einfach die angesagtesten Indie-Acts der österreichischen Gegenwart. Die Pop-Jungs von Bilderbuch sind im leicht alternativen Musik-Bereich (Marke FM4) zwar zurecht in aller Munde, als Musik für Punks machen sie aber wenig Sinn. Und die unheimlich deprimierenden Songs der großartigen Anja Plaschg aka Soap&Skin haben in sich geschlossen schon fast zu viel Tragik, um traurige Szenen adäquat zu unterstreichen. In denen steckt so viel Emotion drin, dass da ein eh grundsolider Coming of Age-Film einfach nicht mithalten kann und dann wirkt es irgendwie aufgesetzt.
Aber einen riesigen Pluspunkt gibt es für den Einsatz der österreichischen Sprachkultur. Nicht umsonst ist Paul ein Deutscher und strahlt nicht zuletzt über die entsprechende Korrektheit in seiner Sprache eine irrsinnige Souveränität aus. Mae’s Wienerisch wirkt im Kontrast dazu zu Beginn fast ein wenig kindisch, doch sie findet zu sich ohne ihre (wie eingehends erwähnt etwas dünn charakterisierte) Identität zu verlieren. Bezogen auf die Sprache heißt das, dass sie sich ausgerechnet in ihren stärksten Momenten extrem dem Dialekt zuwendet. Fast schon instantan legendär ist eine Szene gegen Ende, als Mae vom Krankenhauspersonal wegen eines mitgebrachten Haustiers nicht in Pauls Zimmer gelassen wird. “Mei Freind stirbt do drin und sie scheißn sie on wegan ana deppaten Kotz!” wirft sie der Dame entgegen – die ist sprachlos und der Zuseher ebenso.
Optimismus zu subtil?
Für einen Film für jugendliches Publikum fällt außerdem die gewagte Struktur positiv auf, denn etwa die Hälfte der Laufzeit besteht aus einem Warten auf Pauls Tod. Dessen Unumgänglichkeit wird von Beginn an derart stark etabliert, dass man nie ins Zweifeln gerät und das Sterben selbst in weiterer Folge auch nicht zur Sentimentalität ausgenützt wird. Vielmehr ist es eine beinharte Konfrontation mit dem Prozess, wirklich berührend sind entsprechend auch die zahlreichen Momente vor dem Tod. In einer Szene weckt Mae ihren noch schlafenden Freund auf, weil sie an seinem Brustkorb nicht auf den ersten Blick erkennt, ob er noch atmet.
Da schießt es einem aufgrund der starken Nachvollziehbarkeit ein gewaltiges Zucken durch den Körper, man kann aber eben auch keinen authentischen Film übers Sterben machen, in dem es keine wirklich tragischen Momente gibt. Dass große Tragik schon zuvor abgehandelt wird, gibt auch Raum für einen an der Thematik gemessenen positiven Schluss. Hier bleibt nur die Hoffnung, dass Hiebler und Ertl ihrem jungen Publikum nicht ein bisschen zu viel zutrauen. Denn der Optimismus bleibt doch einigermaßen subtil, hoffentlich geht der ein oder andere Jugendliche nicht vollkommen verstört nach Hause.
Moviequation:
Fazit (Michael):
Film: Chucks
Rating:
Empfehlenswert (3 / 5)
Chucks ist keine Standard-Produktion, sondern zeigt erfrischend viel Mut – vor allem zur österreichischen Sprache und einer gewagt-deprimierenden Struktur. Einzig an der Hauptfigur haperts ein bisschen, für die Zielgruppe absolut empfehlenswert ist der Coming of Age-Film aber dennoch.
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