Wenn das mal kein Skandal ist:
Der amerikanischste Sportfilm der Kinosaison handelt ausgerechnet von russischen Protagonisten. In der Dokumentation Red Army erzählt Regisseur Gabe Polsky die unglaubliche Erfolgsstory des sowjetischen Eishockey-Nationalteams, begleitet von politischen Machtkämpfen zu Zeiten des Kalten Krieges.
Die an Unbesiegbarkeit grenzende Qualität des sowjetischen Teams wird nicht vorsätzlich in der Klasse der einzelnen Spieler gesucht, sondern geht dem Film nach zu urteilen viel mehr auf gruppentaktische Überlegungen zurück, die bereits in den 50ern entworfen worden seien. Als später, in den 80er Jahren, die sportlichen Duelle mit den U.S.A. auch eine politische Dimension bekamen, waren die unterschiedlichen Anlagen im Eishockey-Spiel auch symbolisch für die verschiedenen Weltansichten. Während im Team der kommunistischen Sowjetunion großer Wert auf das gemeinsame Erspielen von Chancen gelegt wurde, war im Spiel des kapitalistischen Amerika der Individualismus stärker im Fokus.
Der charismatische Mr. Fetisov
Als Erzähler fungiert der damalige Kapitän des vor allem in den 80er Jahren fast unschlagbaren Teams, Slava Fetisov. Von der vielleicht ein wenig arroganten, aber dennoch zutiefst sympathischen und charismatischen Art des ehemaligen Weltklassesportlers profitiert der Film über die gesamte Laufzeit hinweg. Seine schnippischen Kommentare und vielsagenden Gesichtsausdrücke verhelfen Red Army zu seiner dynamischen und humorvollen Erzählweise. Anders als etwa in Streif werden dem Protagonisten aber auch keine Wörter in den Mund gelegt, viel mehr scheint es, als wäre das Drehbuch erst auf Basis des Interviews entwickelt worden. So entsteht eine sehr authentische Geschichte, die Fetisov, ebenso wenig wie die anderen gewählten Zeitzeugen, zu sehr in eine vorgefertigte Idee hineinzupressen versucht.
Das funktioniert nicht zuletzt auch deswegen so gut, weil Red Army, wenngleich es ein fokussierter Film ist, sich thematisch und zeitlich nicht zu sehr eingrenzt. Es ist keine reine Unterhaltungs-Doku wie Searching for Sugarman, die eine unglaubliche Geschichte erzählt, ebenso wenig die detaillierte Beleuchtung bis jetzt unbekannter Hintergründe zu einem viel diskutierten Ereignis, wie Citizenfour. Stattdessen geht es hier in erster Linie darum, Sportgeschichte mit detaillierten Charakteren zu füllen und eine Lehre aus dem Geschehenen zu ziehen.
Politik ja, aber Sport dominiert
In diesem Sinne bleibt natürlich die im Trailer stark betonte politische Facette nicht komplett außen vor. Nicht nur, dass der kalte Krieg die Grenze zwischen Politik und Sport verschwimmen ließ, auch war das sowjetische Team selbst stark von anderen Interessen geleitet. So wurde der berüchtigte Viktor Tikhonov trotz bescheidener Kompetenzen dank seiner guten Kontakte in den Kreml als Coach installiert. Zwischen ihm und dem Team rund um Fetisov kam es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten, Respekt zollen ihm die ehemaligen Spieler auch heute noch nicht.
Red Army scheut aber auch vor dem Hintergrund solch politisch stark beeinflusster Themen nicht davor zurück, stets beim Sport zu bleiben. In diesem Sinne wird auch der Konflikt zwischen dem Team und Tikhonov immer nur als solches betrachtet, ohne sich lange mit den Gründen für die Anstellung des Coaches aufzuhalten. Unter dem strengen Regime des Trainers wächst die Mannschaft auch freundschaftlich immer enger zusammen, was dem Film ironischer Weise extrem amerikanisch macht. Ähnlich wie in Teamsport-Verfilmungen aus Hollywood wird der Teamgeist stark betont, mit dem Unterschied, dass die dokumentierte russische Variante um einiges authentischer wirkt.
Emotional mitreißend
Das führt zu hochemotionalen Momenten wie einem Konflikt zwischen Fetisov und einem Teamkollegen oder einem kurzen Interview mit dem 2012 verstorbenen Vladimir Krutov, der sich aufgrund des großen Zusammenhalts in der Mannschaft weigert, die damaligen Spieler als einzelne Charaktere vorzustellen. Die Früchte der harten Arbeit in Form von starkem Charakterfokus erntet der Film dann auch im letzten Drittel, als die Probleme der ersten sowjetischen Spieler in der amerikanischen Profiliga NHL nachgezeichnet werden.
Abgesehen von der verzichtbaren abschließenden “Früher war alles besser”-Breitseite gegen heutige russische NHL-Stars, kann man Red Army kaum einen Vorwurf machen. Es könnte wohl argumentiert werden, dass alles ein wenig oberflächlich bleibt und gerade politisch nicht in die Tiefe geht. Selbst im sportlichen Fokus beschränkt sich der Film fast ausschließlich auf den Teamgeist-Effekt. Weil dieser aber ebenso unterhaltsam wie überzeugend herübergebracht wird, gelingt die Wanderung auf dünnem Eis, ohne ins kalte Kitsch-Wasser einzubrechen.
Moviequation:
Fazit (Michael):
Film: Red Army
Rating:
Sport- und Eishockey-Fans werden in Red Army sicherlich mehr auf ihre Rechnung kommen als Politologen. Wenn man diesen bewusst gewählten Fokus aber akzeptiert, bekommt man eine sehr unterhaltsame Doku geboten, die weiß, was sie aussagen will und das sehr authentisch rüberbringt.
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