In Girlhood begleiten wir die 16 jährige Marieme (Karidja Touré), deren Leben in den Pariser Vororten von gesellschaftlichen und privaten Problemen dominiert wird. Als sie sich einer Gruppe Mädchen angeführt von Lady (Assa Sylla) anschließt gewinnt sie endlich an Selbstvertrauen, doch ob dies ausreicht, um sich in einer von Gewalt dominierten Welt durchzusetzen ist unklar.
Zwei Welten
Ab der ersten Szene erzeugt Girlhood eine bedrückende Atmosphäre, die selbst über den fröhlichen Segmenten wie ein Damoklesschwert baumelt. Laut redend schreitet eine riesige Gruppe Mädchen durch einen Pariser Vorort, doch abrupt wird die Gruppe still, als sie drei Männer an der Straße stehen sieht. Die Unsicherheit steigt je mehr sich die Gruppe aufteilt, bis die Protagonistin Marieme sich alleine auf dem Weg zu ihrem Wohnblock befindet.
Marieme versucht unauffällig zu bleiben, es sei denn sie will (etwas unbeholfen) Ismaël (Idrissa Diabaté), dem Freund ihres autoritären Bruders Djibril (Cyril Mendy), imponieren. Doch all das ist eine Welt, die ihr verwehrt wird und das Gefühl der Bedrohung wird nicht geringer, als sie nach Hause kommt und man Djibril näher kennen lernt. Erst als Marieme von Lady und ihrer Clique vor der Schule angesprochen wird, ob sie nicht in die Pariser Innenstadt mitkommen will, beginnt sie, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Nie verurteilen
Die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma inszeniert in Girlhood gekonnt die Anziehung, welche jene Cliquen auf junge Menschen haben, schafft es aber gleichzeitig dies nicht zu romantisieren. Die Gang rund um Lady (deren echter Name lange ein gut gehütetes Geheimnis bleibt) tritt gleich den Cheerleadern in amerikanischen Produktionen auf: cool, schlagfertig und stark… so ganz anders als die schüchterne Marieme, die in Schlabber-Pullover zur Schule schlürft.
Doch sehr schnell wird Marieme zu Vic und damit einem vollwertigen Mitglied der Gruppe und mit einem raschen Schnitt sehen wir eine gestylte Vic, welche Schüler unter Druck setzt, um ihr Taschengeld zu erhalten. Dass man nach solchen Szenen weiterhin mit Vic sympathisiert ist sowohl der Performance von Karidja Touré, dem Drehbuch und der gesamten Inszenierung zugute zu halten. Denn alle vier Mädchen, Vic, Lady, Adiatou (Lindsay Karamoh) und Fily (Marietou Touré), sind beeindruckend vielschichtige Charaktere, selbst wenn der Fokus großteils auf Vic liegt.
Es ist eine beachtliche Leistung, dass der Film es schafft, Protagonisten, welche stehlen und sich nicht um ihre Ausbildung scheren dennoch als nachvollziehbar und menschlich zu zeichnen – man wird sichtlich auf Mariemes Seite gerissen, auch wenn man Ladys Clique von außen gesehen als oberflächlich und unambitioniert bezeichnen könnte.
Die kalte Dusche und ein zusätzliches Ende
Doch der Film gibt sich nicht damit zufrieden dieses Gefühl der Selbstbestimmung einzufangen, denn schon sehr rasch klopft die Realität an die Tür und die sozialen Probleme beginnen sich aufzuschaukeln. Besonders in Hinblick auf Mariemes Bruder Djibril wird die Protagonistin bald auf den Boden der Tatsachen geholt. Besonders eine Szene zwischen Bruder und Schwester (und einem Computerspiel) ist so einfach und doch so genial, dass sie die gesamte Problematik, die der Film anspricht zusammenfasst und die Erwartungen des Zuschauers komplett umkehrt.
Ein minimaler Kritikpunk an Girlhood ist die Tatsache, dass die Struktur etwas an Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs erinnert. Es gibt 3 Momente, in denen die Musik dramatisch anschwillt und die Umbegungsgeräusche unter sich ertränkt, gefolgt von einem Cut to black. Und erst als dies ein drittes Mal passiert ist der Film tatsächlich vorbei. Die anderen beiden Male handelt es sich lediglich um einen Zeitsprung, den man vielleicht anders inszenieren hätte können, um nicht das Gefühl eines Endes zu wecken.
…doch die Tatsache, dass dies mein größtes Problem mit diesem Film ist spricht wohl eindeutig für Girlhood.
Fazit (Wolfgang):
Film: Girlhood (franz.: Bande de Filles)
Rating:
Girlhood ist ein vielschichtiges Drama, das seine Protagonisten beeindruckend nachvollziehbar und komplex zeichnet. Dem Film gelingt ein perfektes Maß an Sozialkritik ohne je zu polemisieren und wie bei jedem guten Film, der sich einer solchen Thematik annimmt, erkennt man am Ende erneut, dass das alles gar nicht so einfach ist, wie man zu Beginn gedacht hat.
P.S.: Unkreatives schnippisches Kommentar zu dem internationalen Titel in Bezug auf Boyhood hier einfügen.
Schreibe den ersten Kommentar