Im Keller ist das neueste Werk des berüchtigten österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl. Nach seiner Paradies Trilogie (Liebe, Glaube, Hoffnung) begibt sich Seidl nun in die Keller der Österreicher und zeigt eine 80-minütige Aneinanderreihung merkwürdiger Persönlichkeiten. Ob Nazis im Keller (inklusive durch den Film ausgelöstem Politskandal), verwirrte Frauen oder Sadomaso-Szenen (die vor allem), der Film bietet reichlich Momente, in denen mit dem Holzhammer provoziert werden soll.
Dass dies bei Seidl zu erwarten war, war mir klar, aber, dass die folgenden 80 Minuten unerträglicher waren als sogar Paradies Glaube, nicht.
UPDATE:
Seit dem Erscheinen des Filmes wurde durch Interviews einiges klarer und aus diesem Grund möchte ich drei Bemerkungen einfügen, bevor der originale Artikel weitergeht:
1. Es handelt sich nicht um eine Dokumentation. Vielmehr um echte Personen, die Im Keller gefilmt werden sowie auch Szenen, in denen Schauspieler gewisse Ideen darstellen (was natürlich nicht in irgendeiner Weise aus dem Film ersichtlich ist, weil Kunst)
2. Bei der unten erwähnte Frau, aus der ich nicht schlüssig wurde handelt es sich um eines der besagten Schauspiel-Segmente (siehe Interview hier).
3. Obige Erkenntnis ändert leider nichts am Film selbst.
Scho oag!
Ulrich Seidl ist meiner Meinung nach der Meister des „Scho Oag“-Kinos, welches er oft mit dem „Jo, solche Leut gibts“-Genre mischt. Und so gibt es auch bei Im Keller einen großen Fokus auf besonders obskure Persönlichkeiten, sodass man glücklich den Kopf schütteln darf und sich fragt, wie “gstört” doch die Welt ist.
Bei der reichen Auswahl an Charakteren ist natürlich keine Zeit für die gröbste Charakter-Zeichnung, es sei denn man hat einen Ehesklaven oder ein Führermuseum. Besonders durch den Rost fallen „normale“ Charaktere, wie Teenager, welche in zwei Aufnahmen vorkommen ohne je ein Wort zu reden. Man hat das Gefühl, als seien einige Szenen der Vollständigkeit halber inkludiert worden, um nicht den Titel Im SM- und Nazi-Keller verwenden zu müssen. Man fühlt richtig, wie die Produktion eine Checkliste von „mögliche Kellerstile“ abarbeitet, bevor sie wieder zurück in die SM-Welt taucht.
Eine Doku!
Nachdem bei 327 Minuten Paradies Trilogie die Handlung schon auf einer sehr minimalistischen Ebene stattfand, ist nun die Büchse der Pandora vollkommen geöffnet. Das Dokumentationsformat eignet sich noch mehr, um jedwede erzählerischen Elemente in einen nicht im Film vorkommenden Keller zu verstauen.
So ist dieses neue Werk noch mehr eine fragmentarische Videogallerie als die Vorgänger in Seidls Filmographie. Der Film ist derart lose gestrickt, dass Patrick schon meinte, er würde sich besser als Kunstinstallation eignen. Der Vorteil daran wäre, dass man den Fokus selbst entscheidet und nach der dritten Szene, in der ein nackter “Ehesklave” Dinge ableckt, um sie zu putzen, endlich mal etwas anderes sehen könnte.
Doch als ob dies ohnehin nicht genug wäre, um das Schauen zu erschweren, gibt es noch ein ganz neues Feature, welches schon in der Stripper-Szene in Paradies Liebe angedeutet wurde:
In einem klassischen Fall von „Wenn es im Kino läuft ist es Kunst, ansonsten ist es ein gestörter Porno“ werden die Zuschauer mit Videos bombardiert, die sie normalerweise nie sehen würden. Einmal Safe Search bei Google ausschalten und SM eintippen hätte es zwar auch getan, aber so ist das ganze in eine hübsche künstlerische Packung gezwängt, die einfach seriöser wirkt.
Und ja… Kunst und so… ist immer ein Argument und vielleicht hätten diese Szenen auch einen tieferen Sinn, wenn wir wüssten, wer diese Menschen sind, denen wir folgen.
Charaktere? Wo?
Es ist schon interessant, dass ein Film nach 80 Minuten weniger über die Charaktere sagt, als eine Folge Alltagsgeschichten von Elizabeth T. Spira. Sogar das Heft zum Film enthielt mehr Informationen über die Akteure als im Endeffekt auf der Leinwand zu sehen war. Es ist natürlich klar, dass man so etwas banales wie dreidimensionale Portraitierung eher schneiden kann als die dritte Penis-Streckungs-Szene, doch nach der dritten Demütigung des „Ehesklaven“ hätte ich vielleicht gerne gewusst, wer diese Menschen sind, anstatt ihnen mehrmals bei den komplett identen Tätigkeiten zuzusehen oder den immer gleichen Monolog eines der beiden Partner zu hören. Natürlich kann es ein Stilmittel sein, dass nur der dominante Partner redet, doch macht dies den zweiten Partner noch weniger zum Menschen und mehr zur Karikatur.
Besonders eine alte Frau, welche immer wieder gezeigt wird, wie sie eine Babypuppe hält und mit ihr redet, als wäre die Puppe ihr echtes Kind, ist eines jener redundanten aber wenig sagenden Segmente. Wie diese Person so wurde oder was sie denkt erfahren wir nie. Stattdessen wird uns der gleiche Ablauf mehrmals gezeigt ohne dass bei den weiteren Szenen ein nennenswerter Mehrwert für das Publikum entsteht.
Moviequation:
Verdikt:
Film: Im Keller
Rating: Furchtbar
Eine dreidimensionale Darstellung der Menschen scheint nicht das Ziel von Seidl zu sein. Die gefilmten Personen verkommen zu verrückten Karikaturen, was es natürlich leichter macht, den Kopf zu schütteln und zu sagen „scho oag!“. Für all die intimen Szenen, die gezeigt werden, verkommt der Film zu einer ausbeutenden Darstellung einiger Personen, deren einziges Ziel die möglichst große Provokation ist.
P.S.: Ich hätte ehrlich gesagt viel lieber den Film als Lauwarm empfunden, denn jetzt kann man wieder das klassische “Er polarisiert” Argument in den Raum werfen…
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