Neue Jugendromanverfilmungen mit Mädchen als Hauptzielgruppe gibt es momentan wie Sand am Meer. Das ist aber kein Grund für TV-Doku-Pionier R.J. Cutler sein Spielfilm-Debüt genau dieser Sparte zu widmen. Wenn ich bleibe ist die Verfilmung des gleichnamigen Welterfolgs von Gayle Forman und erzählt von einem Mädchen, das im Koma zwischen Leben und Tod wählen muss.
Das Leben der am Cello hochbegabten Schülerin Mia Hall (Chloë Grace Moretz) ist eigentlich zu beneiden. Ihre Eltern Kat (Mireille Enos) und Denny (Joshua Leonard), sowie ihr kleiner Bruder Teddy (Jakob Davies) haben trotz ihrer Punk-Rock-Affinität vollstes Verständnis für Mias Hang zur klassischen Musik. Einzig die Beziehung zu dem erfolgreichen Rock-Bandleader Adam (Jamie Blackley) rutscht aufgrund geographischer Problematik in eine kleine Krise. Doch ehe sie sich um dieses vermeintlich weltbewegende Problem kümmern muss, ändert sich alles schlagartig. Nach einem schweren Autounfall, findet sie sich, im Koma liegend, in einer Art Zwischenwelt wieder, in der sie sich zwischen Leben und Tod entscheiden muss. Diese Entscheidung wird ihr erschwert, als sie erfährt, dass ihre komplette Familie bei dem Unfall ums Leben kam.
Man muss sich schon große Mühe geben, um mich mit einem Film, der das Ableben von geliebten Menschen behandelt, nicht zumindest ein bisschen zu berühren. Das ist mir, wie so vielen anderen auch, einfach ein Stück weit in die DNA geschrieben. Die Rede ist nicht unbedingt von genialen Tränendrüsen-Drückern wie Der König der Löwen, sondern eher von schmerzhaft manipuliertem Schund wie Wie ein einziger Tag.
So schlecht, dachte ich zumindest, kann ein Film gar nicht sein, dass es nicht zumindest ein bisschen weh tut, Personen um andere trauern zu sehen, falsch gedacht.
If I Stay hat mich – zutiefst unfreiwillig versteht sich – köstlich unterhalten.
Das liegt daran, dass der Film von Beginn weg eine Demonstration, ja fast schon eine Definition, von cineastischer Manipulation ist. Denn während die arme Mia in ihrer Zwischenwelt als Geist im Krankenhaus herumläuft, kommen immer wieder Wegbegleiter ans Krankenbett, um sie zu besuchen. Ergänzt wird das durch Rückblicke, in denen wir Einblick in das unglaubliche, unfassbare, perfekte, sensationelle (!) Leben der Mia Hall bekommt. Ihre Familie, die sie aufgrund des Unfalls ja später verlieren sollte, ist der in der Realität mit Sicherheit unmögliche Prototyp einer funktionalen Familie. Alle vier haben schon beim Frühstück den größten Spaß, so etwa als die Eltern mit dem Sohn über den Schulausfall jubeln (übrigens wegen Schlechtwetters, das ihnen später zum Verhängnis werden soll- welch traurige Ironie). Wenn der Film irgendeinen “Konflikt” etabliert, dann nur, um die Großartigkeit der Familie mit der sofortigen Begleichung desselbigen zu unterstreichen.
Ein Beispiel:
Die Fantastischen Vier (diese Bezeichnung scheint mir adäquat zu sein) sitzen gemeinsam im Auto, als ‘Passenger’ vom von fast allen verehrten Iggy Pop aus der Anlage klingt. Als Mia darauf verweist, auch mal die Musik auswählen zu dürfen und sich für Ludwig van Beethooven entscheidet, finden das ihre Eltern plötzlich auch supercool. Na gut, so viel Realitätssinn, dass der kleine Teddy nicht auf klassische Musik steht, hat der Film schon. Aber so setzt sich der einfach Kopfhörer auf, um weiterhin Iggy Pop zu hören. Die gefühlten fünf Zehntelsekunden an Uneinigkeit sind beendet, alles ist wieder gut.
Man muss in diesem Zusammenhang aber auch eine Szene erwähnen, die mich zu Lachtränen gerührt hat. Beim allwöchentlichen Sonntagsbrunch treffen sich alle Freunde der Eltern und auch jene von Mia auf einen gemütlichen Nachmittag. Als man sich am Abend zum Lagerfeuer setzt und Adam auf der Gitarre ein nettes Liedchen anstimmt, wird Mia eingeladen, die Musik auf ihrem Cello zu begleiten. Und siehe da, ohne jeglichen vorhergehenden Versuch, jammt sie auf ihrem Klassik-Instrument zu einem gerade komponierten Lied perfekt dazu – so einfach kann Musik sein! Welchen Konflikt das löst? Jenen, dass sie immer schon Teil einer Band sein wollte und bisher dachte, das Cello sei ein Soloinstrument. Dieses Problem erwähnt sie freilich auch erst eine halbe Minute bevor es gelöst wird.
Achja, der gerade erwähnte Adam, die romantische Triebfeder des Filmes, ist ja auch noch da. Der ist natürlich auch ganz toll, unfassbar talentiert und mit seiner Rockband extrem erfolgreich. Dass er sich in Mia verliebt ohne jemals ein Wort mit ihr gewechselt zu haben – und vice versa – versteht sich von selbst. Für zwei Jugendliche mag das so ungewöhnlich ja gar nicht sein, aber If I Stay legt sich natürlich auf die etwas zweifelhafte Theorie der unsterblichen Liebe auf den ersten Blick fest. Zur zwischenzeitlichen Trennung der beiden kommt es auch entsprechend plötzlich, als Mias Bewerbung an einer Musikschule am anderen Ende der U.S.A. im Raum steht. Gerade dieses Problem ist es eben (neben der ausgelöschten Familie) auch, weswegen sie sich mit ihrer Entscheidung zwischen Leben und Tod so schwer tut. Menschen, die vor kurzem jemand Geliebten verloren haben und denen dann hier erklärt wird, man könne sich das selbst aussuchen, ob man noch weiter machen will, dürfen beleidigt aus dem Kino gehen.
Bleibt eigentlich nur noch zu erwähnen, dass If I Stay, der, das dürfte schon herüber gekommen sein, nicht gerade als gelungen einzustufen ist, ja eigentlich viel Talent versammelt. Weder die durchgehend anerkannten Schauspieler, noch der eigentlich vielversprechende Spielfilm-Debütant R.J. Cutler können diesem Film irgendeinen Tiefgang verleihen. Man sollte sie aber allesamt nicht abschreiben, denn hier hatten sie es mit einem von jeglichen Potential befreiten Ausgangsmaterial zu tun.
Verdikt:
Film: Wenn ich bleibe (engl.: If I Stay)
Rating: Speed Racer
Anmerkung: Dies ist der erste Film des Jahres, der unsere Speed Racer-Bewertung erhält, was soviel heißt wie: er ist lustig, obwohl er eigentlich nicht als lustig geplant war.
Sollte jemand meine bedenkliche Vorliebe teilen, sich bei richtig schlechtem Jugendkitsch einen Spaß zu machen, könnte “If I Stay” durchaus eine Empfehlung wert sein. Rein objektiv betrachtet aber, ist dies ein wahnsinnig manipulativer Schwachsinn, der schlechter kaum sein könnte.
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