In nur 80 Minuten zeichnet Finding Vivian Maier das Portrait einer unglaublich komplexen und widersprüchlichen Frau. Eine Nanny, welche Tausende von Fotos gemacht hat, ohne diese je zu veröffentlichen. Erst nach ihrem Tod wurden ihre Negative von John Maloof entdeckt, welcher sich nun in dieser Dokumentation das Ziel setzt, die Geschichte jener Frau zu erzählen. Doch nicht nur das, der Film erhält durch Maloofs Stil eine unabischtliche zweite Erzählebene, die vielleicht noch interessanter ist als der eigentliche Film.
Eine widersprüchliche Schnitzeljagd
Durch Zufall ersteigerte der Makler John Maloof eine Box mit Negativen einer unbekannten Frau. Nach dem Uploaden der Bilder auf seine Webseite war die Rezeption derart positiv, dass Maloof alles stehen und liegen ließ und sich auf die Suche nach jener Fotografin machte… und gleichzeitig einen Film daraus zimmerte.
Die fast schon detektivische Arbeit des Regisseurs ist (wie bei anderen Dokumentationen in diesem Stil) eine effiziente und unterhaltsame Methode um das Publikum durch die Handlung zu führen. Immer mehr Hinweise über das Leben jener mysteriösen Fotografin kommen an die Oberfläche und was mit einigen Bankauszügen beginnt, endet in detaillierten Interviews jener Kinder, welche Ms. Maier als Nanny betreut hat. Die extrem unterschiedlichen Interviews entpuppen sich als Comedyjuwel, da viele Aussagen über Vivian/Ms Maier mit einem raschen Schnitt von einer anderen Person beinhart verneint werden.
Die Interviews behandeln einen derart langen Zeitraum jener mysteriösen Frau, dass kurze Hinweise zur Chronologie der Ereignisse das Schauen vielleicht etwas erleichtert hätten. Denn oft sind die Beschreibungen so verschieden, dass man sich wundert, ob Vivian Maier sich einfach nur gut verstellen konnte oder ob sie vielleicht mit zunehmendem Alter immer bitterer wurde.
Der zweite Film
Doch was bei uns für eine große Diskussion gesorgt hat war nicht etwa jene zweifellos interessante Geschichte über eine Person, die man nicht einzuschätzen vermag, sondern die Tatsache, dass man die Präsenz des Regisseurs John Maloof den gesamten Film über spürt.
Sei es Maloofs anfängliche Inszenierung oder die Art wie er beschreibt, dass er lediglich will, dass Vivian Maier von Kunstgallerien anerkannt wird – überall spürt man einen Selbstinszenierer, der eine selbstlose Maske aufsetzt und lediglich für die Anerkennung von Vivian Maier kämpfen will. Die Tatsache, dass er sein gesamtes Leben auf Vivian Maier-Gallerien ausgelegt hat und selbstlos den Rücken der entwickelten Fotos signiert und stempelt unterstreicht jenen Altruismus.
Neben dem Portrait von Vivian Maier ist es das unabsichtliche Portrait von Maloof, welches einem im Gedächtnis bleibt und es unmöglich macht, die Persönlichkeit des Filmemachers von seinem Werk zu trennen.
Everything for the people!
Trotz eines unglaublich düsteren Portraits – denn Schattenseite hatte die enigmatische Ms Maier definitiv – versucht der Film eine fröhliche Kehrtwende und zeigt, wie beliebt Maiers Fotos bei „den Leuten sind“ obwohl „die Kritiker“ sich weigern ihre Kunst anzuerkennen (was nebenbei eine weitere unglaublich geniale Diskussion ermöglicht). Die Tatsache, dass Ms Maier nicht immer einwandfreie Erziehungsmethoden angewandt hat, welche schockierend detailliert im Film erzählt werden, scheint komplett vergessen, wenn ein Fotograf am Ende über ihre unglaublich berührende Kunst schwärmt.
Interessanterweise fühlten sich für mich die letzten Minuten an, wie ein Kickstarter-Video, um Vivian Maier noch mehr zu pushen. Noch interessanter wurde dieses Gefühl, als ich nachher erfuhr, dass der gesamte Film ein per Kickstarter ermöglichtes Projekt war.
Moviequation:
Verdikt:
Film: Finding Vivian Maier
Rating: Empfehlenswert
Finding Vivian Maier ist eine solide konstruierte Dokumentation über eine faszinierende Frau. Jedoch ist das unabsichtliche Selbstportrait von John Maloof der Faktor, welcher den Film unter einem komplett neuem Licht erscheinen lässt. Letzten Endes ist man sich nicht sicher, wo die Grenze zwischen Manipulation und unabsichtlichem Schnitt liegt. Doch allein die Diskussionen über dieses Thema sowie die Geschichte von Vivian Maier reichen aus, um den Film zu einer definitiven Empfehlung zu machen.
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