Hayao Miyazaki ist der wohl einzige Anime-Regisseur, der selbst im deutschsprachigen Raum keine lange Einführung braucht. Sein offizieller Abschied aus dem Kino läuft mit gigantischer Verspätung nun auch im deutschsprachigen Raum an. Wie der Wind sich hebt erzählt, an den Fakten orientiert, aber mit viel Fiktionalem ergänzt, die Biographie des Flugzeugkonstrukteurs Jirô Horikoshi.
Schon von klein auf träumt Jirô Horikoshi von einer Karriere als Pilot, ehe er einsehen muss, dass dies aufgrund seiner Kurzsichtigkeit nicht möglich sein wird. Also drückt er seine Liebe zu Flugzeugen fortan mit der Konstruktion derselbigen aus und zieht aus seinem provinziellen Dorf nach Tokyo, um dort bei Mitsubishi anzuheuern. Neben einer von Rückschlägen geprägten, aber auch zu sensationellen Erfolgen führenden Karriere prägt ihn auch die Liebe seines Lebens, die an Tuberkulose erkrankte Nahoko.
Miyazaki bleibt sich treu
Trotz des realistischen Settings versucht der fürs Fantastische bekannte Miyazaki von Beginn weg nicht, sich hinter seiner Geschichte zu verstecken. Schon die erste Szene ist eine surrealistische Traumsequenz, die zugleich die wesentlichen Motive des Filmes wunderschön zusammenfasst. Mit Leichtigkeit steigt Jirô in seinem anmutigen Fluggerät in die Lüfte, ist dort erhaben über die Welt und wird zugleich von selbiger bejubelt. Die Schönheit des Momentes wird aber plötzlich von Kampfflugzeugen unterbrochen, die ihn bombardieren und aus der gerade noch so herrlichen Szenerie ein Schlachtfeld machen. Das Leben für die Ästhetik, das immer wieder aufs Neue von höheren Interessen des Militärs gestört wird, zieht sich durch den Film.
Horikoshis Arbeit wird auch während seiner Zeit bei Mitsubishi stets nur an der Leistungskraft der von ihm entworfenen Flugzeuge gemessen, während seine persönliche Vision eine völlig andere ist. In weiteren Traumsequenzen trifft er immer wieder auf den italienischen Branchenpionier Giovanni Battista Caproni. Nur in diesem fiktiven Szenario ist es Jirô möglich, das Flugzeug als ästhetisches Kunstobjekt zu erfahren. Die politische Breitseite, die der Pazifist Miyazaki in Japan für seine Verherrlichung eines für das Kriegswesen arbeitenden Mannes bekommen hat, beruht daher auch auf einem Missverständnis. Wie der Wind sich hebt erkennt nicht bei der Kriegsmaschine selbst eine ästhetische Komponente, sondern zeichnet vielmehr einen Menschen, der sich, von Förderungen abhängig, den Zwängen einer Branche unterwerfen muss, um seine Träume zu verwirklichen.
Das Leben auf der Meta-Ebene
Auch die frei erfundene Liebesgeschichte zwischen Jirô und Nahoko, die er zuerst als Mädchen kennen lernt und Jahre später durch einen Zufall noch einmal trifft, hat vor allem symbolischen Wert. Zwar führt die Erkrankung der jungen Frau zu einem Konflikt bei Jirô, der seine Angebetete trotz des schlechten Gesundheitszustandes zu sich bittet, doch wird diese handlungsorientierte Problematik eher nebensächlich behandelt. Im Vordergrund steht hier vielmehr die Magie schöner Augenblicke, die sich den vom Leben gestellten Hindernissen zur Wehr setzt. Erkennbar ist das schon bei der ersten Begegnung der beiden, als ein in herrlichem Miyazaki-Stil wie ein Monster in Szene gesetztes Erdbeben eine romantische Zugfahrt unterbricht.
Erzählerische Schwächen
Wie der Wind sich hebt agiert und funktioniert in erster Linie also auf der Meta-Ebene, lässt erzählerisch aber oftmals zu Wünschen übrig. Zuweilen entwickelt sich der Film derart langsam, dass man den Eindruck bekommt, Miyazaki wolle seinen Abschied vom Kino so langsam wie möglich vollziehen. Insbesondere die Liebesgeschichte, die an Tragik theoretisch kaum zu überbieten sein sollte, dehnt sich in die Länge wie ein Kaugummi, der seinen Geschmack schon lange abgelegt hat oder eigentlich nie wirklich einen hatte. Denn so respektabel der Tiefgang des Filmes auch ist, die Involvierung mit den Charakteren ist die ganze Zeit über bedenklich gering.
Dass Miyazaki eine tiefgehende Symbolik ausgereiften Figuren bevorzugt, ist eine künstlerische Entscheidung und ihm keinesfalls vorzuwerfen. Allerdings kommen Jirô und Konsorten hier derart glatt herüber, dass man das Interesse an der Handlung selbst schon sehr bald verliert. Die fragwürdigen Entscheidungen, die Charaktere die ganze Laufzeit über treffen müssen, sind an einer Hand abzuzählen.
Moviequation:
Verdikt:
Film: Wie der Wind sich hebt
(jap.: Kaze tachinu)
Rating: Empfehlenswert
Ebenso reich an Symbolen wie an erzählerischen Schwächen ist Wie der Wind sich hebt ein Film, den man auch mit der richtigen Einstellung schauen muss. Standen andere Miyazakis für die Kombination aus Unterhaltung und Thematik, so besteht dieser hauptsächlich aus Letzterem.
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