Mein Leben als Zucchini

Mein Leben als Zucchini gewährt einen Einblick in den Alltag von Kindern, die sicherlich ein sorgloseres Leben verdient hätten. Dabei ringt er dem Publikum nicht nur ein, zwei, sondern sehr viele hart verdiente Tränen ab.

Es gibt Themen, über die nicht gesprochen wird. Erstens, weil sie einfach zu hart sind und man sie lieber ignorieren, vergessen möchte. Zweitens, weil die Konsequenzen liebend gerne tabuisiert werden. Die Verwahrlosung von Kindern und die daraus resultierende Depression, die sich ohne Behandlung und Pflege sicherlich ein Leben lang hält, ist genau so ein Thema. In den Nachrichten ist manchmal von Kindern die Rede, welche vom Jugendamt geholt werden müssen, weil sie schon wochenlang allein in der Wohnung sitzen. Es ist von unterernährten Kindern die Rede, von Kindern, die sehr früh, sehr alt geworden sind, weil es niemanden gab, der auf sie acht gegeben hätte.

Wie es den Kindern geht, wenn sie aus den traumatisierenden Situationen rausgeholt werden, erzählt Mein Leben als Zucchini. Zucchini, ein 9-jähriger Junge, wird in einem Kinderheim untergebracht, wo er auch Gleichaltrige trifft, die ein genauso schlimmes Leben hatten, wie er. Der Papa im Knast, sexueller Missbrauch in der Familie oder eine Mama, die wieder in ihr Heimatland abgeschoben wurde – mit solchen persönlichen Geschichten müssen Zucchinis Freunde umgehen. Doch der tapfere Junge lebt sich gut ein, in seiner neuen Umgebung und als dann noch die Waise Alice ins Heim kommt, scheint das Leben immer hoffnungsvoller zu werden.

(c) Thimfilm

Regisseur Claude Barras und Drehbuchautorin Céline Sciamma nehmen sich kein Blatt vor den Mund und verfilmen den wahrscheinlich ebenso bittersüßen Roman “Autobiographie d’une courgette” von Gilles Paris mit einem solchen Feingefühl und gleichzeitiger Härte, dass man tatsächlich gleichzeitig weinen und lachen muss. Und diese zwei Gefühle im selben Atemzug hervor zu kitzeln ist wirklich eine Meisterleistung. Denn sind wir mal ehrlich, es wäre fast schon leicht einen Film über solch ein tragendes Thema zu machen, der hammermäßig auf die Tränendrüse drückt um schließlich in einem euphorischen Inferno von unrealistischem Glück zu enden.

Aber Kinder sind aus sich selbst heraus tapferer, als man es ihnen manchmal zutrauen würde. Zucchini muss lernen, dass seine alkoholkranke Mama sehr viele Fehler gemacht hat, die zu seiner Situation geführt haben und sie trotzdem liebhaben kann. Und mit der Zeit meistert er diese emotionale Balance auch, so wie die anderen Kinder auch beginnen ihre Dämonen zu kennen und mit ihnen zu leben. Gleichzeitig merkt man aber auch, wie fragil diese positiven Veränderungen sind, denn schon kleine Störungen können das Gleichgewicht wieder kippen. Mal subtiler, mal offensichtlicher eingesetzte Elemente – wie das Mood-Board in der Garderobe – unterstreichen nicht nur den emotionalen Wandel des Filmes, sondern bringen auch reale Komponenten aus dem Therapie-Alltag.

(c) Thimfilm

Es ist so erfrischend, mal nicht ein Heim, oder eine Schule à la Matilda zu sehen, wo nicht nur inkompetente ErzieherInnen herumwuseln, sondern die Kinder auch in Dreck und Armut leben müssen. Es muss nicht die äußere Umgebung als Erklärung dafür herhalten, wie schlecht es den Kindern geht. Da ist die Konsequenz nämlich immer: Gib das sozial gestörte Kind in die Hand eines netten Erwachsenen und schwups ist das Trauma passé. Nehmen wir da gleich nochmal  Matilda als Vorbild. Auch wenn ich den Film sehr liebe, sei es auch wegen Nostalgie, ist er fast schon eine Beleidigung im Gegensatz zu Mein Leben als Zucchini. Matilda hat nämlich einiges mit Zucchini gemein: Sie ist eine Waise, lebt in einer Familie, die sie emotional missbraucht und geht auch noch in eine Schule, wo physischer und emotionaler Kindesmissbrauch an der Tagesordnung stehen. Wenn das nicht ein Indikator für ein tiefsitzendes Trauma ist, dann weiß ich auch nicht. Der Film macht es sich aber derart leicht, Matildas Glück an der einen lieben Lehrerin festzumachen, dass man sich mit derselben Logik bei Zucchini fragen müsste, warum er nicht verdammtnochmal seelisch geheilt ist, weil ihn der liebe Polizist immer besucht.

Es ist einfach schwerer und herausfordender psychische Probleme mit jener Härte zu zeigen, die sie mit sich ziehen, aber es ist auch um so vieles ehrlicher. Barras und Sciamma zollen Kindern nicht nur sehr viel Respekt, sondern nehmen sie ernst, mit all ihren Fehlern und Eigenheiten. Das ist auch der Grund, warum man diesen fürchterlich traurigen und gleichzeitig durchaus lustigen Film mit Kindern anschauen kann. Kinder sollten behütet werden, aber man muss sie nicht vor ihren Gefühlen schützen, vielmehr muss man ihnen die Möglichkeit geben, sie zu artikulieren und zu verstehen.

(c) Thimfilm

Noch kurz nachgeschoben: Der Film ist auch vom Look her ein Traum. Die Figuren sind einem sofort sympathisch, denn sie haben alle einen sehr eigenen Charakter, ohne, dass sie sich in Details verlieren würden. Die Szenenbilder sind ebenfalls wahnsinnig liebevoll gestaltet. Shoutout an die Szene, als Alice und Zucchini das Zuhause des Polizisten das erste Mal sehen und sie über die vielen Pflanzen staunen, die in seinem Schlafzimmer stehen. Hätten wir es mit einer geistlosen Inszenierung zu tun, dann wäre der Raum fast gimmick-like bis nach oben hin mit Schlingpflanzen, riesigen Blumen und Büschen gefüllt.

Aber da wir es hier mit einem sehr geistreichen Film zutun haben, besitzt der Polizist eben einige Kakteen, deren Anordnung in den Augen von Kindern aber durchaus als Urwald gedeutet werden können. Ein unglaublich cleverer Schachzug um die Naivität der Kinder zu zeigen und gleichzeitig ihren Blickwinkel von den der Erwachsenen zu distanzieren.

Fazit (Anne-Marie)

Film: Ma vie de courgette

Rating: Exzellent (5 / 5)

Ich glaube, das Rating spricht für sich selbst: Mein Leben als Zucchini ist einfach toll. Und damit basta!

Weitere Meinungen aus der Redaktion

Fazit (Michael):

Film: The LEGO Batman Movie
Rating:


Exzellent (5 / 5)

Mein Leben als Zucchini ist definitv einer der klügsten, traurigsten und schönsten Filme des Jahres. Mir kommen schon wieder die Tränen, wenn auf Facebook ein paar GIFs des Filmes gepostet werden.

[Einklappen]

Anne-Marie Darok Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert